Neben Miss-Tourismus-Kandidatinnen in Cocktailkleidern, deren Gewinnerin im Herbst gekrönt wird, stand Tourismus- und Kulturminister Eric Thill vor zehn Tagen im grauen Anzug am Schwimmbad von Vianden. Der DP-Politiker weihte das 50-Meter-Becken offiziell ein – nun können Badegäste wieder mit Blick aufs Schloss ihre Bahnen ziehen. 2019 ereignete sich hier ein Badeunfall, der allerdings glimpflich endete. Anschließende Untersuchungen ergaben, dass Sanierungen notwendig waren und geschultes Personal die Aufsicht gewährleisten müssten, um für Sicherheit zu sorgen. Der damalige Schöffenrat aber unternahm kaum etwas, die Anlage verwahrloste. Das Freibad, das im Sommer 1971 eröffnet wurde, zählte zu seinen besten Zeiten bis zu 1 300 Gäste täglich. Seine Schließung weckte bei vielen Luxemburgern nostalgische Erinnerungen an vergangene Sommertage.
Als vor zwei Jahren einige Einwohner die verlassene Anlage besichtigten, waren sie schockiert: Die Turnschuhe des Bademeisters standen noch da, als wäre das Bad erst am Vortag geschlossen worden. Filteranlagen und Pumpen waren nicht winterfest verstaut worden und gingen deshalb kaputt. Es war abzusehen, was folgen würde: Die leerstehenden Becken, aus deren Betonritzen bereits Gräser wuchsen, brachten die Gemüter in der Lokalpolitik in Wallung. Mit dem Versprechen, wieder für Badehosen, Bikinis und Badespaß zu sorgen, trat die Bürgerliste „No beim Bierger“ gegen die Liste des damaligen Bürgermeisters Claude Tonino, „Fir ee stoarkt Vianden“, an. Erstere stellt inzwischen acht von neun Mitgliedern des Gemeinderats, einschließlich des Schöffenrats. Einziger politischer Überlebender der alten Garde ist der 63-jährige Jean-Marie Klasen.
Am Dienstagmorgen fahren Gemeindearbeiter mit ihrem Grünschnitt durch die Hauptstraße. Vor dem Empire-Tattoo-Laden läuft eine ältere Frau in Jogginghose mit ihrem schwarzen Shiba Inu vorbei. Zwei Wanderer ziehen an einer Holzbank ihre Pullover aus. Ein holländisches Paar trinkt Kaffee auf der Terrasse der Bäckerei Müller; aus der Backstube dröhnt Techno-Musik. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein Haus zum Verkauf – 345 Quadratmeter für 650 000 Euro. Die vergleichsweise niedrigen Preise ziehen seit den 1980-er-Jahren eine Künstler-Bohème nach Vianden – etwa zehn Ateliers sind entstanden. In der Bahnhofstraße sitzt Zahree Veerman in seinem Atelier und zeichnet Schwarz-Weiß-Bilder. „In Vianden zu wohnen ist, als wäre jeder Tag Urlaub“, sagt er.
Vor sieben Jahren ist Zahree Veerman von Clerf nach Vianden gezogen – beide Städte seien nicht vergleichbar: „Vianden ist hell, das Schloss klebt absurd überdimensioniert am Hang, die Einwohner sind speziell – im besten Sinne des Wortes – und gehen ihrem Kunsthandwerk nach: sie imkern, legen Weinberge an, brennen Nussschnaps.“ Anders als in Clerf leben in Vianden viele alteingesessene Familien – sozusagen Clans. „Aber das Gemeinschaftsgefühl übertrumpft das Konfliktpotenzial, das merkt man an den vielen Freiwilligenprojekten.“ Er selbst ist im Verein Viart aktiv, der an Pfingsten die „Viandener Konschtour“ organisiert. Clanstrukturen schlagen sich auch in der Folklore nieder. Jährlich ziehen im November, am Martinstag, Dutzende Frauen, Männer und Kinder aus Vianden und Umgebung mit brennenden Fackeln durch das Städtchen. Es handelt sich um ein Ritual, das als eine Art symbolisches Gefecht zwischen der „Ennichtgaass“ östlich der Our und der „Iewischtgaass“ westlich des Flusses inszeniert wird – am Ende vereinen sich beide Gruppen im Ortskern. Dabei werden volkstümliche Lieder angestimmt.
Keine Majorzgemeinde des Landes erzielt ein derart üppiges Einkommen durch den Tourismus wie Vianden. Rund 600 000 Besucher zählt der Ort jährlich, 260 000 Eintrittstickets werden allein am Schlosseingang verkauft. Das Schloss wird zwar staatlich geführt, aber die Gemeinde profitiert durch verschiedene Abgaben. Etwa 300 000 Euro fließen jährlich aus Touristenabgaben in die Gemeindekasse. Parkuhren und die Campinganlage bringen zusätzlich rund 200 000 Euro ein. Ein weiteres finanzielles Rückgrat bildet die kommunal geführte Seilbahn, die jährlich etwa 400 000 Euro Gewinn erwirtschaftet. Diese Zahlen nennt Bürgermeister Francis (François) Weyrich, der im Rathaus sitzt: zerzauste graue Haare, orangefarbene Schuhe, Brille. Er geht auch die Kosten für das neue Schwimmbad durch – rund 10 Millionen Euro, die Hälfte davon übernimmt der Staat. Weitere laufende oder geplante Projekte sind: die Jugendherberge, die im nächsten Jahr mit 120 Betten öffnen soll und ein neues Parkhaus mit ebenfalls 120 Stellplätzen. „A mir mussen onbedingt eng nei Maison Relais bauen, déi kascht d’Gemeng ëm déi 15 Milliounen“, sagt Weyrich. Kritiker werfen ihm vor, dem Schwimmbad gegenüber dieser Bildungseinrichtung den Vorrang gegeben zu haben. Weyrich räumt ein, dass sich der Bau der Maison Relais verzögert habe: „Aber wir haben – im Gegensatz zum vorherigen Gemeinderat – einen verkehrsberuhigten Standort näher an der Schule gesucht und gefunden“.
Heute sitzt Francis Weyrich ganz selbstverständlich an einem fünf Meter langem Holztisch unter einer gewölbten Decke im Rathaus; der Einzug verlief aber nicht reibungslos. Kurz nach den Wahlen stieß der scheidende Bürgermeister Claude Tonino eine Untersuchung an, wie RTL berichtete. Er äußerte Zweifel daran, ob Weyrich und Paul Petry tatsächlich ihren Hauptwohnsitz in Vianden haben. Das Innenministerium überprüfte daraufhin die Wohnsitze der Kandidaten und gab schließlich grünes Licht. „Ech drénken all Moien hei mäi Kaffi“, sagt Weyrich gegenüber dem Land. Am Wochenende jedoch wohne er in Körperich, auf der anderen Seite der Grenze. Der Zweitwohnsitz habe sich ergeben, als er sein Dachdeckerunternehmen in Vianden aus Platzgründen nicht erweitern konnte – nun habe der Betrieb zwei Standbeine.
Paul Petry ist wie seine Schwester und sein Bruder im Hotelgewerbe in Vianden tätig. Von den 837 gültigen Stimmzetteln, kassierte er 586 Stimmen. An zweiter Stelle folgt Weyrich mit 484 Stimmen. Die beiden werden sich das Bürgermeisteramt im Dreijahresturnus teilen. Mehr als jeder zweite Wahlberechtigte stimmte für Weyrich und Petry. Warum? In der Hauptstraße geben fünf Einwohner eine Einschätzung ab: Sie seien bodenständige Unternehmer, wüssten, wie man mit Personal umgeht. „Et si Veiner Jongen“. Und sie seien präsent – bei Konzerten und Vernissagen. Hat die Wohnsitzfrage diese Wahlberechtigte ins Grübeln gebracht? Eher nicht: „Durch ihren Unternehmenssitz sind sie sowieso die meiste Zeit hier“, meint eine Dame. Andere hatten nicht von der Polemik gehört. Könnte es Interessenkonflikte rund um ihre Unternehmenertätigkeit geben? Wenn die Gemeinde den Tourismus fördere, sei das natürlich für die Familie Petry interessant, analysiert ein Einwohner. Vom Tourismus aber profitiere die gesamte Gemeinde – und es sehe nicht danach aus, als plane Paul Petry, sein Geschäft auszubauen. François Weyrich wiederum sieht für sich keinen Vorteil im Amt: „Mein Dachdeckerunternehmen darf sich, seit ich das Amt übernommen habe, nicht mehr auf Ausschreibungen bewerben.“
Im Schatten der beeindruckenden Tourismuszahlen tauchen einige Indikatoren auf, die die Gemeinde unter Handlungsdruck setzen dürften. Laut dem Register der IGSS stammen 25 Prozent der Kinder, die die Schule in Vianden besuchen, aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil in sogenannter précarité professionnelle lebt (Stand 2021). Das ist der höchste Wert im ganzen Land – der nationale Durchschnitt liegt bei 12,7 Prozent. Auch das Medianeinkommen ist vergleichsweise niedrig: Es beträgt in Vianden lediglich 3 518 Euro pro Monat. Wiltz hat mit 3 167 Euro den niedrigsten Wert, in Niederanven liegt er bei 6 659 Euro (Stand 2023). Der Sprachindex des Liser zeigt zudem, dass Vianden im unteren Drittel rangiert. Das bedeutet, der Anteil der Kinder an der Viandener Schule, die weder Luxemburgisch noch Deutsch als erste oder zweite Sprache sprechen, ist vergleichsweise hoch. Laut den Zahlen der Gemeinde besitzen 50 Prozent keinen luxemburgischen Pass. 30 Prozent besitzen einen portugiesischen Pass, gefolgt von 2,25 Prozent die einen französischen besitzen (Stand 2024). Vianden zählt über 2 200 Einwohner, aber nur die Hälfte konnte bei den letzten Gemeindewahlen ihren Stimmzettel abgeben.
Wie will die Gemeinde sprachlichen Bildungsbenachteiligungen entgegenwirken? Bürgermeister Weyrich erklärt im Rathaus, in drei Jahren soll die Alphabetisierung in französischer Sprache angeboten werden. Auf der gegenüberliegenden Seite des Rathauses liegt die Ourdaller Bücherei gut erreichbar an der Hauptstraße. Vielleicht hat sie ein Angebot, das Kinder spielerisch an Sprachen und ans Lesen heranführt. „Unsere Bibliothek wird ehrenamtlich geführt. Jedes Kind und jeder, der gerne liest, ist willkommen. Aber wir haben keine Kapazitäten um Bildungsprojekte zu stemmen“, erklärt die Bibliothekarin Anita Eydt-Schmit. Im Rahmen des Gemeindepaktes Vivre Ensemble soll in den kommenden Monaten eine Vollzeit-Stelle entstehen; ein Neuangestellter muss sich dann unter anderem mit Fragen der sozioökonomischen Prekarität befassen.
Vianden hat im Vergleich zu anderen Gemeinden keine junge Geschichte. Archäologische Funde belegen, dass das Gebiet bereits in römischer Zeit besiedelt war und sich im Ourtal ein Verkehrsknotenpunkt entwickelt hatte. Allerdings gewann der Ort erst im 11. Jahrhundert mit der Entstehung der Grafschaft Vianden an politischer Bedeutung: Als eine der mächtigsten Adelsfamilien der Region – mit Verbindungen zum deutschen Kaiserhof und zu französischen Königen – errichteten die Grafen von Vianden auf dem Felsplateau eine Burganlage. Im Jahr 1417 fiel die Grafschaft durch Erbschaft an die Herzöge von Nassau, später an das Haus Oranien-Nassau. Die Burg verfiel seitdem zunehmend, da Vianden seine politische Eigenständigkeit verlor und die strategische Bedeutung der Anlage schwand. Vianden selbst entwickelte sich zu einem bescheidenen Handwerkerzentrum, in einem Geschichtsbuch von 1845 wird erwähnt, dass vor allem Gerber in der Stadt lebten. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden in Vianden Sivi-Kühlschränke hergestellt, in den Siebzigern wurde die Fabrik von Electrolux aufgekauft und 1997 geschlossen. Industriegewerbe ist seitdem passé. Die verfallene Burg wurde 1977 vom luxemburgischen Staat von der Familie Nassau-Weilburg erworben und unter der Schirmherrschaft von Großherzog Jean umfassend restauriert.
Bereits 20 Jahre zuvor hatte sich der Ort zu einem lokalen Tourismuszentrum entwickelt. Als die Seilbahn im Jahr 1955 eingeweiht wurde, sparte das Wort nicht an Lob, der Sessellift sei eine „bahnbrechende Neuerung unseres nationalen Tourismus“. Die Viandener, die mit dieser Innovation das Land überraschten, wurden als „gastfreundlich“, „strebsam“ und „zielbewusst“ beschrieben. Vianden sei ein „sagenumwobenes Städtchen“, eine „herrliche, verträumte Perle an der Our“. Zugleich erinnerte man an den französischen Schriftsteller Victor Hugo, der einst in Vianden lebte: „Wo heute der letzte Stahlmast der Sesselbahn im Beton verankert ist, pflegte der Titan zu verweilen.“ Nachdem der Franzose zunehmend liberalere Ansichten in Fragen wie sozialer Ungerechtigkeit, Pressefreiheit und der Abschaffung der Todesstrafe vertreten hatte, musste er sein Heimatland verlassen und verbrachte rund 19 Jahre im Exil. 1871 gewährte ihm Luxemburg politisches Asyl. In einer später schriftlich festgehaltenen Ansprache an Viandener Musiker, nach einer musikalischen Darbietung im Garten des Hotels Koch im Juli 1871, prophezeite er: „Aujourd'hui, dans son paysage splendide que viendra visiter un jour toute l'Europe, Vianden se compose de deux choses également consolantes et magnifiques, l'une sinistre, une ruine, l'autre riante, un peuple.“
An der prophezeiten Tourismuswelle hat auch Jean-Claude Hollerich sein Taschengeld verdient. In Vianden, wo er aufwuchs, verkaufte er als Jugendlicher Pommes in der Nähe des Sessellifts. „Ich hatte nicht genug verdient, um auf Reisen zu gehen. Also kaufte ich mir einen Plattenspieler“, erinnerte er sich im Radiosender Radio Essentiel. In Vianden seien seine Eltern nicht zur Messe gegangen, aber er sei hingegangen – wie alle Kinder seines Alters. Prozessionen und große Liturgien hätten ihn geprägt, wie er in der Sendung Gëlle Fro erzählte; sie lösten bei ihm in jungen Jahren ein religiöses Erweckungserlebnis aus. Am Tag nach seiner Priesterweihe feierte Hollerich Ende April 1990 seine erste Primiz (heilige Messe) in Vianden, allerdings im Festsaal, da die Trinitarierkirche wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war. Als Hollerich 2011 zum Erzbischof geweiht wurde, war die Kirche renoviert, und ihr Chor sang nun: „Sëdd wëllkomm wéi ee Frënd, dee vum Härgott kënnt.“
Mit Stolz habe man im Ourtal reagiert, als bekannt wurde, dass ein „Veiner Jong“ zum neuen Erzbischof geweiht werden sollte, wird Metty Weyrich auf mywort.lu zitiert. Der mittlerweile Verstorbene war Präsident der lokalen Kirchenfabrik und Vater des heutigen Bürgermeisters. Francis Weyrich hat inzwischen die Präsidentschaft der Kirchenfabrik übernommen und steht regelmäßig mit Hollerich in Kontakt. Er erhofft sich eine Synergie zwischen der neuen Jugendherberge und dem Bistum, wie internationale Treffen junger Katholiken. Der neugeweihte Bischof und ehemalige Pommesverkäufer mahnte seinerseits in der Trinitarierkirche 2011: „Ich will nicht, dass Vianden nur eine Touristenattraktion ist. Es soll ein Ort sein, an dem Menschen glücklich sein können und sich füreinander engagieren.“
Dem Land wird geraten, den pensionierten Lehrer Nico Walisch anzurufen, wenn es mehr über lokale Solidarität erfahren möchte. Denn nach Victor Hugo kamen erneut politische Flüchtlinge nach Vianden. Derweil leben sechs Familien in Vianden: Venezolaner, Somalier, Syrer. Die katholische Aktionsgruppe Reech eng Hand besteht aus sechs Freiwiligen, die sich bemühen, die in Vianden lebenden Flüchtlinge in das Dorfleben zu integrieren. „Wir laden sie beispielsweise zur Martinsfeier ein, versuchen ihnen den Brauch zu erklären oder organisieren Unterhaltungsnachmittage“, so Nico Walisch. Administrativ seien die Flüchtlinge gut vom Staat versorgt, „mee et feelt e bëssen un Ambiance an hierem Alldag“, sagt er. Nach Beginn des Ukrainekriegs im Jahr 2022 waren bis zu 60 Betten der alten Jugendherberge belegt. Damals entstand zwischen den Ukrainern sowie den lokal Engagierten ein so enges Band, dass die Gruppe „Nei Veiner Ukrainer“ genannt wurde. Inzwischen ist die rund 60-köpfige Flüchtlingsgemeinschaft vom Familienministerium zum Wegzug bewegt und verstreut worden. Eine Entscheidung, die die damalige Bürgermeisterin Gaby Frantzen-Heger und Nico Walisch im Wort als „Entwurzelung“ kritisierten.
Inzwischen hat auch die DP – in Person von Eric Thill – ihre Sympathie für den Ardennenort entdeckt. Der Nord-Politiker reiste Ende Juli nicht nur zur Einweihung des Freibads an, sondern war zudem am vergangenen Wochenende beim Mittelalterfest zu Gast. In der ersten Ausgabe 2025 des Gemengebuet ist der Kultur- und Tourismusminister gleich viermal abgebildet: bei einem Gedenktag zur Befreiung Viandens durch US-Streitkräfte im Februar 1945, bei der Einweihung des kleinen Schwimmbeckens im Herbst, beim Umzug der Ourdall-Bibliothek in die Hauptstraße im Juli, sowie bei der Vorstellung des für diesen Sommer geplanten Gravelbike-Rennens. Im vergangenen Jahr ist Bürgermeister Francis Weyrich der DP beigetreten. Es zeigt sich: Nationalpolitik ist zugleich auch Gemeinde- und Parteipolitik.