In Gent zeigt eine Ausstellung Werke von 100 jungen, politisch inspirierten belgischen Künstler/innen

Zwischen Vergangenheit und Zukunft

Photo: cb
d'Lëtzebuerger Land du 25.07.2025

Van Eyck, Brueghel, Rubens, Ensor, Delvaux, Magritte… In Belgien mangelt es nicht an genreprägenden Malern. Doch wie steht es um zeitgenössische Malerei in Belgien? Ist Malerei noch relevant? Das S.M.A.K. (Stedelijk Museum voor Actuele Kunst) in Gent zeigt in einer ambitionierten Ausstellung Werke von mehr als 70 Künstler/innen und bietet so einen umfassenden Blick in die diverse belgische Kunstlandschaft. Painting after Painting verspricht Einsicht in die „jüngsten Entwicklungen und Trends des Mediums“, doch schon beim ersten Blick fällt auf, dass viele Künstler/innen in einem Dialog mit der Vergangenheit stehen. Die erotischen Traumvisionen der im Iran geborenen Sanam Khatibi erinnern stark an belgische Surrealisten wie Magritte und Delvaux, Bram De Munters The purple carpet mit mythischen Figuren und theatralischem Ambiente an James Ensors Kunst.

Thematisch unterscheiden sich viele Werke dann doch von denen der Vorgänger, denn das moderne Leben hat Eigenschaften, die sich sogar Surrealisten schwer hätten vorstellen können. Die wichtige Rolle der digitalen Welt heutzutage wird auch in der zeitgenössischen Malerei thematisiert. Für ihr Werk My Address sammelte Emmanuelle Quertain Schnappschüsse ihres Online-Suchverlaufs und malte sie Freihand mit Aquarellen auf etliche A4-Bögen, rasterförmig an der Wand des S.M.A.K. aufgereiht sind. Einige Details sind auszumachen, wie zum Beispiel Drohnen, Nachrichtensprecher, die ukrainische Flagge und Werbung für Spülmittel. Das Werk ist ein Porträt eines modernen Online-Lebens, geprägt von Informations- und Reizüberflutung und immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen.

Die Porträts von Joëlle Dubois zeigen junge Frauen in leuch-
tenden Farbtönen, wie sie unter Herzschmerz leiden, sich langweilen oder sich die Haare schneiden. Smartphones und das bläuliche Licht von Bildschirmen ist nie weit weg. Che Go Eun, eine Koreanerin, stellt mit ihrem Bild Dyptich eine pornografische Werbung dar, die auf ihrem Bildschirm erschien, nachdem sie nach Belgien gezogen war. Ein Kommentar über Algorithmen, die von Stereotypen geprägt sind, und ethnische Identitäten sexualisieren.

Zynischer ist William Ludwig Lutgens Joy Sauce in the Belly #3, eine Mixed-Media-Installation. Eine Comic-Zeichnung, die der Künstler eigens für die Ausstellung im S.M.A.K. angefertigt hat, zeigt eine Person, die an einem Tisch sitzt und auf einem Laptop schreibt. Um sie tummeln sich kleine Alien-artige Gestalten, wie in einem Fiebertraum von Home Office. Als Laptop-Bildschirm fungiert ein richtiger Fernseher, der skurrile Videos zeigt, in denen groteske, Zombie-ähnliche Gestalten in einer alten Bibliothek umgehen. Das Werk sei „eine Anspielung auf Lacans Konzept der Jouissance, einer paradoxen Form des Vergnügens, die über bloßen Genuss hinausgeht und oft mit Exzess oder Schmerz einhergeht“. Der Künstler, der selbst an einem Burnout litt, sieht Depression und Erschöpfung als Epidemien einer überstimulierten Gesellschaft. Die Videos sind verstörend, doch man schaut hin. Die Installation könnte auch als Kommentar über soziale Medien und Doomscrollen verstanden werden.

Belgiens Hauptstadt bietet als Sitz der EU politischen Künstler/innen natürlich viel Inspiration. Eines der unübersehbaren Highlights der Ausstellung in Gent ist Luis Lázaro Matos’ Diplomatic Immunity (The Eurorats): Es nimmt den gesamten vorderen Raum des Museums ein. Auf einem Wandgemälde mit der Europa-Flagge hat Matos die goldenen Sterne durch Spermien ersetzt. Auf Augenhöhe hängen fünf Gemälde, die von einer skurrilen Begebenheit aus der Corona-Zeit inspiriert sind: József Szájer, ungarischer Europaabgeordneter der rechtsnationalen und LGBTQ-feindlichen Fidesz-Partei, wurde während der Ausgangsperren von der Polizei auf einer Schwulen-Party erwischt. Er soll versucht haben, über eine Regenrinne zu flüchten. In seinem Rucksack fand die Polizei Rauschgift. Szájer verwies auf seine Immunität, trotzdem wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Auf den fünf Bildern tanzen Ratten suggestiv um eine Regenrinne, wie um eine Stripper-Stange. Auf die Fassadenfenster des S.M.A.K. hat Luis Lázaro Matos einen fiktiven Rücktrittsbrief an den damaligen Präsidenten des Europaparlaments geschrieben, der mit dem Satz endet: „Mögen Sie weiterhin zu den Sternen blicken, während ich mich zurückziehe, um über die Ironie meiner Umstände nachzudenken.“ Unterzeichnet ist der Brief von einer „Euroratte“.

Die Kurator/innen haben sich auf Künstler/innen beschränkt, die nach 1970 geboren sind. Was die Nationalitäten der Schaffenden angeht, zeugt die Ausstellung von der Diversität Belgiens. Die Erfahrungen von Migrant/innen und Menschen mit Migrationshintergrund werden in verschiedenen Werken thematisiert.

Anthony Ngoya, ein Franzose mit kongolesischen Wurzeln, beschäftigt sich mit kollektivem Gedächtnis und den Erfahrungen der kongolesischen Diaspora. Mit Collagen aus alten Familienfotos, Textilfetzen und Fliesen füllt er die Lücken seiner eigenen Geschichte. Es ist Malerei, die die Grenzen des Mediums überschreitet.

Den Stand zeitgenössischer Malerei eines ganzen Landes in einem Gebäude zu zeigen, ist kein leichtes Unterfangen. Die Ausstellung ist in Themen eingeteilt, die sehr allgemein gehalten sind (wie zum Beispiel Intime Welten, der fließende Körper). Es war wohl schwierig, einen roten Faden in den 136 Werken zu finden, die Mischung der sehr verschiedenen Genres wirkt manchmal etwas unharmonisch.

Leider sind nur für wenigen Bildern kontextualisierende Zusatzinformationen beigegeben, was vor allem bei Werken wie Diplomatic Immunity (The Eurorats), das auf einem konkreten Ereignis basiert, zu bedauern ist. Trotzdem ist Painting after Painting eine sehr empfehlenswerte Ausstellung, die mehr als 100 Werke junger belgischer Künstler/innen zeigt. So eine Gelegenheit wird sich wohl so bald nicht mehr bieten. Man sollte sich jedoch Zeit nehmen für den Besuch. Außerdem ist Gent immer eine Reise wert. p

Painting After Painting - A contemporary survey from Belgium ist noch bis zum 2. November im S.M.A.K in Gent zu sehen

Claire Barthelemy
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