Nach dem Hickhack um die verzögerte Auflösung des Parlaments und die Ernennung eines Formateur wird nun über das Ende der Legislaturperiode gerätselt

Schönwetter-Institutionen

d'Lëtzebuerger Land du 31.01.2014

Seit dem 20. Oktober verfügt das Land zwar über neue Abgeordnete. aber niemand weiß so recht, wie lange ihr Mandat dauert. Denn Verfassung und Wahlgesetz widersprechen sich. Die Verfassung bestimmt in Artikel 56: „Les députés sont élus pour cinq ans.“ Demnach müssten die am 20. Oktober 2013 gewählten Abgeordneten bis Oktober 2018 im Amt sein. Das Wahlgesetz ergänzt aber in Artikel 122: „La sortie ordinaire des députés a lieu le premier dimanche du mois de juin ou, si cette date coïncide avec le dimanche de Pentecôte, le dernier dimanche du mois de mai.“ Müssen die nächsten Wahlen also im Oktober oder eben im Juni oder Mai stattfinden – und in welchem Jahr?

Der nur selten erwähnte Artikel 123 des Wahlgesetzes sieht zwar ausdrücklich die Möglichkeit einer vorgezogenen Auflösung des Parlaments vor und entscheidet: „En cas de dissolution de la Chambre, la sortie des députés élus après la dissolution a lieu conformément à l’article précédent l’année qui suivra l’ouverture de la cinquième session ordinaire.“ Eine Verlängerung der Mandatsdauer wäre demnach ausgeschlossen, um so mehr als es einstweilen der Wunsch aller Parteien ist, zwecks Aufwertung der Europawahlen die Kammer- und Europawahlen nicht mehr gleichzeitig stattfinden zu lassen. Demnach müssten die Wahlen im Juni oder Mai 2018 stattfinden.

Aber dann bleibt noch immer die Frage, ob das Wahlgesetz als einfaches Gesetz die in der Verfassung vorgesehene Mandatsdauer von fünf Jahren verkürzen kann. Zumindest den Abgeordneten ist dies alles andere als gleichgültig. Denn die frühzeitige Auflösung des Parlaments vergangenes Jahr bereitete manchen um ihre politische und berufliche Laufbahn sowie um ihre Diäten während der Sommerpause bangenden Volksvertretern schlaflose Nächte.

Klarheit drängt sich um so mehr auf, als die Verfassungsbestimmungen über die Dauer einer Legislaturperiode wiederholt verletzt wurden. Obwohl die Verfassung seit 1956 eine Mandatsdauer von fünf Jahren vorschreibt, dauerte die Legislaturperiode bis zu den Wahlen von 1964 fünf Jahre und vier Monate. Als 1974 gewählt wurde, war das Parlament fünf Jahre und fünf Monate im Amt.

Im Parlament auf die Dauer der Legislaturperiode angesprochen, meinte Premier Xavier Bettel (DP) am 17. Dezember leicht verwirrt: „Ich muss Ihnen sagen, dass die fünf Jahre Mandat in den Augen der Regierung Vorrang haben auf ein Datum, das in einer Verfassung angegeben ist, und dass wir nun darüber diskutieren müssen. Aber wie gesagt, das Parlament muss darüber diskutieren... aber, wie gesagt, wir sind noch immer der Meinung, dass die fünf Jahre Vorrang auf ein Datum haben, das auch im Gesetz steht.“

Hält man sich an die Hierarchie der Rechts­instrumente und räumt der Verfassung Vorrang ein, dann müssten die nächsten Kammerwahlen im Oktober 2018 und alle folgenden ohne vorzeitige Auflösung des Parlaments jeweils im Oktober stattfinden. Dadurch droht sich aber alle fünf Jahre die derzeitige Situation zu wiederholen, dass das Parlament den Staatshaushalt für das Folgejahr nicht rechtzeitig verabschieden kann. Das war bis Ende der Sechzigerjahre, als zu Beginn jeden Jahrs mit provisorischen Zwölfteln gehaushaltet wurde, kein Problem. Aber unter dem Druck der Haushaltsvorschriften der Europäischen Union ist der Staatshauhalt weniger ein Instrument des Parlaments, als dass das Parlament dabei ist, ein Instrument des Haushalts zu werden.

Deshalb scheint es eine breite Mehrheit im Parlament und in der Regierung dafür zu geben, die nächsten Wahlen am ersten Sonntag im Juni 2018 abzuhalten, das heißt am 3. Juni 2018. Doch die Frage ist, wie man dahin kommt. Selbstverständlich drängt sich eine Änderung der Verfassung oder des Wahlgesetzes auf. Dies ist um so naheliegender, als der zuständige parlamentarische Ausschuss in seinem Entwurf der großen Verfassungsrevision den bisherigen Artikel 56 über die Mandatsdauer der Abgeordneten unverändert als neuen Artikel 70 übernommen hatte. Er hatte es auch nicht für nötig befunden, präzisere und demokratischere Bestimmungen über die Auflösung des Parlaments und vorgezogene Wahlen in die Verfassung zu schreiben. Wenigstens das soll nach dem juristischen Fiasko des Regierungsrücktritts und der Parlamentsauflösung vergangenes Jahr nachgeholt werden, bevor nächstes Jahr in zwei Referenden über die Verfassungsrevision abgestimmt werden soll. Zur Debatte steht beispielweise, ob die Kammer die Befugnis erhalten soll, sich künftig selbst auflösen zu können.

Doch was die Dauer der Legislaturperiode anbelangt, hat der Autor der Verfassungsrevision, der verfassungspolitische Sprecher der CSV, Paul-Henri Meyers, inzwischen widerholt vorgeschlagen, der Großherzog solle das Parlament ganz einfach vorzeitig auflösen. So dass die Legislaturperiode um fünf Monate verkürzt würde und für Juni 2018 Wahlen einberufen würden. Tatsächlich verlangt die stramm obrigkeitsstaatliche Verfassung derzeit nicht einmal eine Begründung vom Staatsoberhaupt, wenn es geruht, sein Parlament aufzulösen.

Die von Meyers vorgeschlagene vorzeitige Parlamentsauflösung wirft jedoch ebenfalls verfassungsrechtliche und politische Probleme auf. Darf das Staatsoberhaupt tatsächlich nach Gutdünken die in der Verfassung vorgeschriebene Legislaturdauer ohne zwingende Gründe, das heißt ohne politische Krise, verkürzen, sozusagen „pour convenances personnelles“, um der Regierung und dem Parlament die Aufstellung des Staatshaushalts zu vereinfachen?

Spätestens hier zeigt sich, dass es bei der Diskus­sion um das Ende der Legislaturperiode nicht bloß um juristische Spitzfindigkeiten geht, sondern auch um die parlamentarische Demokratie. Denn eine neue Willkür bei der Verkürzung der Legislaturdauer oder ihrer Verlängerung, wie 1964 und 1974, kann auch Vorwände liefern, um zu den in Großbritannien üblichen Gepflogenheiten überzugehen. Dort legt die Regierungsmehrheit das jeweilige Ende einer Legislaturperio­de fest, wenn Meinungsumfragen ihr gerade die höchsten Siegeschancen in Aussicht stellen.

Denn das Gerangel zwischen Parlament, Regierung, Großherzog und Staatsrat um die Verfassungsmäßigkeit der verzögerten Parlamentsauflösung, der Wettlauf um die Bestimmung des Formateur und nun die Suche nach dem Ende der Legislaturperiode zeigen erneut: Die wichtigsten staatlichen Institutio­nen sind noch immer einseitig darauf ausgerichtet, mit Hilfe eines fast jede Willkür erlaubenden monarchischen Systems den CSV-Staat alle fünf Jahre ohne viel Aufhebens zu verlängern. Ob das so bleiben soll, wäre sicher eine interessante Frage für die geplanten Referenden über eine Verfassungsrevision.

Romain Hilgert
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