Deutschland

Der Unternehmer Staat

d'Lëtzebuerger Land du 31.07.2020

Der Staat macht wieder in Ökonomie, mit dick gefülltem Portemonnaie: 600 Milliarden Euro hat die Bundesregierung in einem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) aufgelegt, der die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie abmildern soll. Mit dem Geld beteiligte sich der Staat auch an Unternehmen. So etwa bei der Lufthansa oder dem Biotech-Unternehmen Curevac – weitere Beteiligungen dürften folgen. Doch manche Entscheidung lässt dabei offen, ob es sich wirklich um Krisenbewältigung geht oder nicht doch auch Folgen der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre abgefedert werden sollen.

So etwa beim Einstieg bei Curevac. Das Tübinger Unternehmen arbeitet derzeit an einem Impfstoff gegen Corona. Im März war ein Treffen zwischen dem Curevac-Vorstand und dem US-Präsidenten Donald Trump öffentlich geworden, bei dem Trump Vorkaufsrechte an dem potenziellen Impfstoff einforderte. Im Juni beteiligte sich die staatseigene KfW mit rund 23 Prozent an dem Unternehmen. Bei der Pressekonferenz anlässlich des KfW-Einstiegs kritisierte der Curevac-Großinvestor Dietmar Hopp, Gründer von SAP, die Strategie der Bundesregierung massiv: „Es ist ein kleines Wunder, dass es hier in Deutschland überhaupt noch einige großartige Biotech-Firmen gibt, die ohne die steuerlichen Hindernisse allerdings sehr viel weiter entwickelt sein könnten.“ Die Branche werde „stiefmütterlich behandelt“, die Steuergesetzgebung sei viel zu „investitionsfeindlich“, weshalb sich kaum ausländische Investoren finden würden. Hopps Appell: „Ich möchte der Politik ausdrücklich dazu raten, eine mutige, dramatisch verbesserte steuerliche Behandlung solcher Risikoinvestitionen anzustreben.“ Hopp forderte das ein, was viele Unternehmer unter ‚sozialer Marktwirschaft‘ verstehen: Der Staat setzt die förderlichen Rahmenbedingungen, hält sich ansonsten aber raus. Doch mit der Corona-Krise kam eine andere Seite der Industriepolitik zu Tage: Der Staat greift massiv ein, wo er es für nötig hält und beteiligt sich sogar substanziell an Unternehmen, wenn er es für richtig hält.

Die Gretchenfrage ist dabei: Wie viel Staat braucht die Wirtschaft. In Zeiten von Corona wohl sehr viel. Denn zum 170 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket hat die Bundesregierung eben jenen WSF aufgelegt, mit dem Berlin einerseits Kredite absichern, andererseits sich auch direkt beteiligen soll. Für 300 Millionen Euro gab es 20 Prozent der Lufthansa, die Curevac-Beteiligung kostete ebenso viel. Doch genau das stößt in der Wirtschaft sauer auf: „Die Bundesregierung hat schon seit Jahren verpasst, die Rahmenbedingungen für eine moderne Industrie zu schaffen“, klagt etwa Klaus-Heiner Röhl vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Statt Unternehmen beispielsweise bessere steuerliche Bedingungen zu schaffen, legt die Regierung lieber noch einen Beteiligungsfonds auf.“ Grundsätzlich sei der WSF aber positiv zu bewerten, da die derzeitige Krise auch gesunde Unternehmen beträfe. Dennoch schickt das Institut eine Warnung hinterher: „Die Ausschaltung des Wettbewerbs durch konservierende Staatseingriffe kann Produktivitätsfortschritte verhindern, weil nicht wettbewerbsfähige Unternehmen am Markt gehalten werden.“ Deshalb seien die Staatsbeteiligungen zeitlich zu begrenzen. Zudem sollte die Größe des Unternehmens bei Staatsanteilen keine Rolle spielen. Gerade bei Konzernen tut sich die Politik jedoch immer wieder sehr hervor, da es dort meist um viele Arbeitsplätze geht.

Anfang letzten Jahres hielt Deutschland 104 unmittelbare und 433 mittelbare Unternehmensbeteiligungen, mit mindestens 25 Prozent Anteilsbesitz und einem Nennkapital von mindestens 50 000 Euro. Gerne gibt das Wirtschaftsministerium vor, dass dies vor allem stille Beteiligungen seien. Doch: „Es ist blauäugig zu sagen, der Staat mischt sich nicht ins Unternehmerische ein“, so Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „In strategische Entscheidungen muss der wichtigste Eigentümer schon eingebunden werden.“ Beispiel dafür sei die Lufthansa. Hier sei – in Hinblick auf die Klimadiskussion – schon zu erwarten, dass der Staat darauf drängt, ressourcenschonender zu fliegen, die Flotte zu modernisieren und zu investieren. „Es ist gut möglich, dass die Lufthansa ohne Staatsbeteiligung da einen anderen Sparkurs fahren und alle Ausgaben kürzen würde“, glaubt Gornig. An konkrete Vorgaben diesbezüglich wurde die Staatsbeteiligung an der Lufthansa jedoch nicht geknüpft – im Gegensatz zum Einstieg Frankreichs bei Air France.

Doch bei Vorgaben und Bedingungen für die Investments zeigt sich Berlin generell schwach. Ebenso bei einer möglichen Exit-Strategie, wann und unter welchen Bedingungen die Staatsbeteiligungen wieder rückgängig gemacht werden. Einen Leitfaden oder gar Regeln für die Staatsbeteiligungen lässt Berlin vermissen. Das mag eigentliches Bestreben offenlegen: Bereits im Februar letzten Jahres stieß Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die Diskussion an, ob Deutschland und Europa nicht einzelne Großunternehmen massiv fördern sollten, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können – notfalls eben auch mit direkter Staatsbeteiligung. Gerade unter diesem Gesichtspunkt wirkt der Einstieg bei Curevac so, als solle eine ausländische Übernahme vorgebeugt werden. Altmaier dazu: „Wir arbeiten für industrielle Souveränität.“ Es sei elementar, dass erfolgversprechende Schlüsselindustrien wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Chemie oder Stahl am Standort Deutschland gestärkt werden. Peter Altmaier weiter: „Der Staat soll Rahmenbedingungen setzen und helfen, wo Hilfe nötig ist.“ Das klingt nach den Forderungen aus der Industrie. Doch diese greifen noch weiter, wie Wirtschaftsforscher Gornig zusammenfasst, und den Fokus auf Europa legt: „Deutschland allein kann da nichts machen. Europa hingegen eine Menge.“

Martin Theobald
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