Belval

Immobilienkrimi

d'Lëtzebuerger Land du 25.01.2013

Cornelis van Erp und Walter Laarhoven waren am Dienstag in Luxemburg, als sie die Nachricht von der finanzpolizeilichen Durchsuchung bei der niederländischen Bank SNS Reaal erfuhren. Die Nachricht packte van Erp dermaßen, dass er vom Stuhl sprang. Van Erp und Laarhoven sind Hauptgeldgeber beziehungsweise Manager der Gesellschaftsgruppe Multiplan, die als Projektentwickler des Belval-Plaza-Komplexes aktiv war. SNS ist das Mutterhaus von SNS Property Finance (SNSPF), Joint Venture Partner von Multiplan in den Belval-Plaza-Gesellschaften – bis sich SNS die Anteile von Multiplan und damit das gesamte Projekt im Herbst 2009 aneignete. Nicht erst seither streiten SNS und Multiplan. Die Geschichte von Belval-Plaza ist ein Wirtschaftskrimi, der sich von den Benelux-Staaten bis in die Schweiz zieht, wo van Erp ansässig ist. Beide Parteien werfen sich gegenseitig Betrug vor; es geht um mehrstellige Millionenbeträge.
Der Nachricht von der Durchsuchung durch den FIOD, den Fiscale inlichtingen- en opsporingsdienst, bei SNS folgte bald eine Mitteilung der Bank: Die FIOD-Untersuchung betreffe eine Reihe von Immobilienprojekten, die SNSPF finanziert hat, auf Initiative der Bank hin. Seit 2010 habe sie selbst Integritätsanalysen ihrer Kunden durchgeführt und dabei Unregelmäßigkeiten festgestellt und gegebenenfalls die zuständigen Behörden in den Niederlanden und im Ausland informiert. Um welche Projekte es sich dabei handelt, gab die Bank am Dienstag nicht bekannt. Aber das Belval-Projekt und die Multiplan-Zuständigen stehen ohnehin im Zentrum von Untersuchungen innerhalb der Bank. Niederländische Presseberichte der vergangenen Wochen hatten aufgedeckt, dass SNS wohl insgesamt 14 Projekte auf Unregelmäßigkeiten hatte untersuchen lassen, dann aber anscheinend in elf Fällen nicht weitergeforscht hatte, um die Ergebnisse nicht mit Abschreibungen auf dem Wert der Immobilien quittieren zu müssen (NRC Weekend 29.; 30.12.2012). Weiter untersucht wurden drei Projekte, zwei in Spanien und: Belval.
Die Bank hat, wie sie auf Nachfrage dem Land bestätigt, „im April 2010 Anzeige gegen Herrn van Erp und mehrere verwandte Unternehmen wegen mehrerer finanzieller und wirtschaftlicher Delikte erstattet.“ Die Details möchte die Bank nicht kommentieren, um die Untersuchungen der Luxemburger Justiz nicht zu behindern. Dort ging, nach Auskunft der Luxemburger Justiz selbst, bereits 2009 eine Anzeige durch das Enregistrement ein. Van Erps Konten in der Schweiz und in Luxemburg sind seitdem blockiert. Beim Termin vor dem Untersuchungsrichter am vergangenen 5. Dezember wurde van Erp der Unterschlagung von Gesellschaftsvermögen beschuldigt. Sein Anwalt teilt mit, es gehe dabei in der Substanz um Beträge, die sich Cornelis van Erp selbst überwiesen habe und die der Summe entsprächen, die er investiert habe; 44 Millionen Euro laut van Erp. Allerdings, betont er: SNS hat damit nichts zu tun. Die Transaktion ging von Multiplan, der 100-prozentigen Tochtergesellschaft zu Circle EU, der Holding, die van Erp zu 100 Prozent persönlich gehört, von der das Geld ursprünglich stammte. Die Luxemburger Ermittler haben im Rahmen dieser Untersuchung Rechtshilfe in den Niederlanden beantragt, die Ergebnisse lägen fast vollständig vor, heißt es von Seiten der Justiz. Multiplan hat eigenen Aussagen nach seinerseits beim niederländischen Schiedsgericht in Rotterdam einen Antrag eingereicht. Darin fordert Multiplan von Belval-Plaza die Erstattung von Mehrkosten von rund 50 Millionen Euro im Bezug auf die Planung und den Bau der beiden Einkaufszentren. Eine Entscheidung des Schiedsgerichts, sagen van Erp und Laarhoven, stehe noch aus.
Das sind längst nicht alle juristischen Verfahren, die  anhängig sind. Multiplan hat im Dezember 2009 die Firmensitze aller elf Multiplan-Gesellschaften von Luxemburg nach Belgien verlegt, um vom belgischen Insolvenzrecht Gebrauch zu machen und dort Gläubigerschutz zu beantragen, wie van Erp und Laarhoven dem Land erklären. Zwei Firmen sind dennoch in einer Insolvenzprozedur. Van Erp will seinerseits in den Niederlanden eine Schadensersatzklage gegen SNS einreichen.
Im Kern geht es im Streit zwischen Multiplan und SNSPF darum, wer für die Finanzierung des Belval-Plaza-Projekts in welcher Höhe einstehen muss. Das Projekt startete 2005, als die Multiplan-Leute den Agora-Masterplan für Belval entdeckten, daraufhin auf eigene Kosten Grundstücke erwarben und Entwicklungspläne anfertigen ließen. 2006 ging Multiplan mit der ABN-Amro-Tochter Bouwfonds ein Joint-Venture ein, zwecks Finanzierung des Projekts. Das wurde immer ambitiöser. Ausgehend von einer geschätzten Investitionssumme von 80 Millionen Euro für ein Einkaufszentrum (Belval-Plaza-I) – eine Summe, welche nach Aussage von van Erp und Laarhoven die technische wie konzeptuelle Planung, die Entwicklung, die Vermarktung und den Rohbau plus Basisausstattung der Haustechnik abdeckte, bis hin zu einem Projekt, das für eine Investitionssumme von 180 Millionen Euro zusätzlich ein weiteres Einkaufszentrum, Wohnungen, zusätzliche Parkdecks und ein Bürogebäude vorsah, ebenfalls bis zum „Rohbau-Plus“-Stadium. Danach würde die individuelle Ausstattung und Anpassung – je nach Mieter– folgen, entsprechend dem Design-and-Build-Konzept, laut dem die Pläne während der Bauarbeiten immer detaillierter und den Anforderungen angepasst werden. Um aus dem „Rohbau Plus“ ein hochwertiges Shoppingzentrum zu machen, wären laut Multiplanmanager zusätzliche 20 Millionen Euro nötig gewesen. Die Vereinbarung zwischen Projektentwickler, Multiplan, und dem Finanzier, nach der Übernahme von Bouwfonds im Herbst 2006 SNSPF, beschreiben van Erp und Laarhoven wie folgt: Multiplan musste garantieren, das Projekt binnen 30 Monaten abzuschließen, mindestens 60 Prozent der Flächen vorzuvermieten und dabei eine Mindestrendite von zehn Prozent beziehungsweise eine Miete von durchschnittlich 15 Euro pro Quadratmeter zu erzielen und die „Lokomotiven“ – Media Markt und das Kino – mit an Bord haben. Sollten Mieten und Rendite durch Mehrinvestitionen gesteigert werden können, müsste der Finanzier mitziehen, sagen van Erp und Laarhoven.
Dass es Ende 2008 dennoch zum Zahlungsstopp kam, führen die beiden auf die internen SNS-Schwierigkeiten zurück, darauf dass der Bank schlicht das Geld fehlte. Dass SNS, die als kleinste von vier als systemisch eingestuften niederländische Banken Ende 2009 staatliche Rettungsgelder in Höhe von 750 Millionen erhielt, bereits vor dem Sommer 2008 Probleme hatte, die Kapital- und Solvenzanforderungen zu erfüllen, hatte CEO Ronald Latenstein 2011 vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss einräumen müssen (Het Financieel Dagblad, 25.11.2011).
Die Bank selbst sieht das völlig anders. Die Belval-Plaza-Firmen seien nicht in der Lage gewesen, offene Kreditlinien zurückzuzahlen, so ein Sprecher der Bank in einer E-Mail ans Land. Aufgrund dessen und weil in „mehreren Diskussionen zwischen SNSPF/Belval Plaza und mehreren Subunternehmern, einige dieser Subunternehmer die Existenz von unter anderem finanziellen Irregularitäten in der Ausführung der Subunternehmerverträge zwischen dem Haupt-Subunternehmer Multiplan und diesen Subunternehmern offenlegten [...] eignete sich SNSPF die Anteile der Belval-Plaza-Holding im Besitz von Multiplan Group an, in Ausführung einer Bürgschaft auf diesen Anteilen (...).“ Damit spielt SNS einerseits auf die Finanzierungsvereinbarungen im Joint-Venture-Abkommen an, die vorsehen, dass die Rückzahlung des Kredits für Belval-Plaza-I sechs Monate nach Fertigstellung beginnen muss. Und andererseits auf die Auseinandersetzung mit dem Bauunternehmen CBL Blaton. Multiplan hielt nach Aussage der Manager Zahlungen – jeweils vom Zahlmeister SNS getätigt – an die Firma zurück, weil es ihrer Ansicht nach Qualitätsmängel bei den Arbeiten gab – im April 2008 war eine Zwischendecke eingestürzt –, und wollte eine Abrechnung auf Basis der tatsächlich durchgeführten Arbeiten durchsetzten. Dabei saß ihnen die Zeit im Genick – sie mussten die vertraglichen Fristen einhalten. Anfang 2009 kam es zum Baustopp, wie SNS via E-Mail bestätigt. Nach Lesart von SNS lag es daran, dass die Subunternehmer von Multiplan nicht mehr bezahlt worden waren. Daraufhin wendete sich die Baufirma, berichten van Erp und Laarhoven, direkt an die Bank, um ihre Zahlungen einzufordern. Die regelte fortan die Beziehungen mit den Subunternehmern direkt – der Bau lief wieder an –, setzte sich damit aber nach Ansicht von van Erp und Laarhoven unrechtmäßig über die Entscheidungsstrukturen im Joint-Venture hinweg. Um den Bau nach Monaten des Stillstands wieder anzukurbeln, seien wiederum Mehrkosten entstanden, deren Finanzierung Multiplan von SNS einforderte, die laut Multiplan auch schriftlich zugesagt wurde, aber niemals eintraf.
So reichte Multiplan wenige Tage nach der „Enteignung“ im Oktober 2009 Klage gegen SNSPF und Belval-Plaza-Holding ein, forderte 150 Millionen Euro Schadensersatz. Ihr Anwalt kam aber weder zur Verhandlung, noch rechte er irgendwelche Unterlagen ein, welche die Forderung gestützt hätten. Die Richter widersprechen in ihrem Urteil vom 24. März 2011 die Auslegung des Joint-Venture-Abkommens von Multiplan, demnach SNSPF zur Weiterfinanzierung des Projekts auch bei steigenden Kosten verpflichtet gewesen sei, mit der Finanzierung Schritt zu halten. SNSPF hätte demnach eher eine Art Vorzugsrecht, denn eine Verpflichtung zur Weiterfinanzierung gehabt.
In der Bilanz 2009 von Belval Plaza Holding schreibt der nach der Einlösung der Multiplan-Anteile alleinige Anteilseigner SNSPF, man habe das Projekt von externen Experten schätzen lassen. Ergebnis: Der damalige Wert sei wesentlich niedriger als die geschätzten Gesamtkosten. Dass das Projekt sein Geld nicht wert war, bestreiten van Erp und Laarhoven. Mitte 2008 hatte Multiplan vom deutschen Investmentfonds Union Investment ein Angebot von 171 Millionen Euro für die beiden Einkaufszentren erhalten. Berücksichtige man den Erlös aus den Wohnungen, den Parkdecks und dass das Forschungszentrum Ceps im Januar eine Absichtsvereinbarung im Hinblick auf das Anmieten von 13 Etagen des geplanten Bürogebäudes (Mietpreis: 20 Euro/Quadratmeter) unterzeichnet hatte, seien die Mehrkosten des Projekts mehr als gedeckt gewesen, unterstreichen van Erp und Laarhoven, und für die Joint Venture Partner bis zu 70 Millionen Euro Profit zu teilen gewesen. SNS bezeichnet das Angebot von Union Investment in der Mail ans Land als „nicht realistisch“. Aus den Sitzungsprotokollen der Führungsgremien von Belval Palza geht allerdings hervor, dass auch SNS dieses Angebot noch im November 2008 diskutierte. Ein SNS-Vertreter beantragte, den Due-Dilligence-Prozess zu lancieren, Mitte Januar 2009 sollten die Investoren zur Visite kommen, der Verkauf bei der Immobilienmesse in Cannes abgeschlossen werden. Union Investment teilt auf Nachfrage mit: „Wir haben das Projekt seinerzeit nicht weiterverfolgt, weil es vom Risikoprofil nicht zu unseren Immobilienfonds passte. (...).“ Weswegen, bleibt offen. Ebenso wie die Frage, wovon Belval Plaza die Kredite zurückzahlen sollte, die SNS nach fällig waren, wenn das Projekt nicht verkauft wurde?
Warum der Belval Plaza Tower, den das Ceps bis Ende 2009 beziehen sollte, noch heute nicht steht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Vereinbarung konnte laut Multiplan nicht eingehalten werden, weil die SNS-Verantwortlichen auf den letzten Drücker, im Herbst 2009, neue Pläne von niederländischen Architekten zeichnen ließen – obwohl die Fundamente bereit und die Fertigelemente bereits bestellt waren. Ob die neuen Pläne für den Turm ein Manöver der SNS-Verantwortlichen waren, um das Projekt zu torpedieren und somit zu kaschieren, dass das Geld für den Bau fehlte, wie van Erp und Laarhoven mutmaßen? SNS teilt auf Nachfrage mit, nach den Subunternehmerproblemen habe der Fokus auf der Fertigstellung von Beval-Plaza I und II gelegen. Man suche in Zusammenarbeit mit Agora nach geeigneten Parteien oder Mietern. Seien diese gefunden, könne der Turm gebaut werden.
Die Multiplan-Manager sind längst nicht die einzigen Beteiligten, die unlauterer Methoden verdächtigt werden. Het Financieel Dagblad berichtete am 13. November 2012, SNS-Geschäftspartner hätten Buck Groenhof beim FIOD angezeigt, den Mann, den SNSPF 2009 als CEO und Krisenmanager engagierte. Statt so viele Projekte wie möglich zu verkaufen, um Bargeld zu beschaffen und die Risiken zu senken, soll er dem Bericht nach Projektverkäufe verzögert haben, damit er und „seine Freunde“ länger Bearbeitungshonorare kassieren konnten. Außerdem habe er bei Projektverkäufen die Firma Westplan bevorzugt, deren Aufsichtsrat er angehöre. So habe Westplan bei einigen Projekten als einziger Bieter eine Antwort erhalten. Darunter laut Zeitung auch Belval. Auf Groenhof, so die neuesten Medienberichte, hätten es auch die Ermittler vom FIOD am Dienstag abgesehen gehabt.
SNS bestätigt auf Nachfrage, dass bei der Bank auch Angebote von Luxemburger Investoren eingegangen sind. „In der Vergangenheit ist SNSPF unter anderem von Luxemburger Investoren angesprochen worden. Bis jetzt wurden keine seriösen Angebote und/oder Vorschläge gemacht.“
Laut Bank sind alle Subunternehmer bezahlt, mit Ausnahme einiger weniger, deren Rechnungen angefochten werden. Zu den Gesamtkosten will sich SNS nicht äußern. Einzige Auskunft: Der Buchwert des Projekts betrug Ende 2012 150 Millionen Euro. Die 2010-er Bilanzen der Belval-Plaza-Gesellschaften würden bald veröffentlicht, so der Sprecher der Bank. Damit ist aber noch nicht gesagt, wie es aktuell um die Finanzlage der Projektgesellschaften steht, denen die Einkaufszentren gehören. Die Garantie, die SNSPF den verschiedenen Projektfirmen zur Beendigung der Arbeiten gab, lief vergangenen März aus. In Erwartung aktuellerer Bilanzen und neuer Garantien kann man sich fragen, ob sich die Firmen in einer virtuellen Insolvenz befinden. Im Februar muss SNS die Jahresbilanz für 2012 vorstellen. Ob es so lang dauert, bis der Staat erneut eingreift, um die Bank zu retten? Am Mittwoch meldete De Telegraf, eine Nationalisierung sei für die Regierung eine „ernsthafte Option“. Wegen der faulen Kredite von SNSPF fehlt es der Bank immer noch an Kapital. Die letzten Hilfen sind nur bruchteilhaft zurückgezahlt und die EU-Wettbewerbsbehörden haben eine Übernahme durch ING und ABN Amro abgelehnt, weil diese Banken aufgrund der Staatshilfen an ihre Adresse,  keine Zukäufe tätigen dürfen.

Michèle Sinner
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