Der Wald leidet unter Trockenheit, gestiegenen Temperaturen und Schädlingen. Rundgang mit zwei Beamten der Forstverwaltung im Gemeindewald in Biwer

Unter Stress

Ein Förster in einem Wald in Biwer / Luxemburg
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 31.07.2020

Der Dienstwagen der Biwer Gemeindeverwaltung rumpelt langsam über den Hauptweg im Wald, der gleich westlich des Dorfes beginnt. Am Steuer des umgebauten Vans, in dessen Heck allerhand Ausrüstung und Werkzeug in Regalen mitfährt, sitzt Revierförster Daniel Steichen. Neben ihm Martine Neuberg, die Chefin des Forstdienstes der staatlichen Natur- und Forstverwaltung.

Kaum zwanzig Grad zeigt das Thermometer an diesem Vormittag, der Himmel ist ziemlich bewölkt. Ideales Wetter für einen Waldspaziergang, aber nur ein paar Menschen sind mit ihren Hunden unterwegs. In diesem Wald treffe man selten viele Leute an, sagt Daniel Steichen. Eigentlich schade, denn auf den ersten Blick wirkt er ziemlich intakt. Vor allem Eichen und Buchen stehen hier, die typischen Laubbaumarten in Luxemburg.

Auf den zweiten Blick und mit den Erläuterungen durch die beiden Forstfachleute wird die Sache mit der Intaktheit relativer. „Schauen Sie“, sagt Martine Neuberg, nachdem das Försterauto an einem Kreuzweg angehalten hat, und deutet auf eine hohe Buche. „Die hat schon viele Blätter verloren.“ Dann zeigt sie auf eine andere, die an ihrer Spitze keine Krone hat, dafür auf vielleicht Dreiviertelhöhe eine trägt, die dort eigentlich nicht hingehört. „Nur bis zu diesem Punkt schafft der Baum es, Wasser hochzupumpen. Also fehlen weiter oben die Blätter.“

Jedes Jahr erhebt der Forstdienst der Natur- und Forstverwaltung die Waldgesundheit und stellt das „Inventaire phytosanitaire des forêts“ zusammen. Das Inventar 2019 sah nicht gut aus. Die Hälfte aller Baumarten sei „deutlich beschädigt“, war ihm zu entnehmen. Nur 13 Prozent waren „ohne Beschädigung“ und 37 Prozent „leicht beschädigt“. Im Jahr zuvor wurden noch bei fast einem Drittel der Baumarten keine Beschädigungen festgestellt. So ähnlich lagen die Verhältnisse seit dem Jahr 2013.

Besonders beeinträchtigt sind offenbar die Buchen: 2019 zu fast zwei Drittel „deutlich beschädigt“. Bei „Eichen und anderen Laubbäumen“ traf das auf jeden zweiten zu und auf 35 Prozent der Nadelbäume. Dagegen muss Mitte der Achtzigerjahre die Welt in den Luxemburger Forsten geradezu paradiesisch gewesen sein, glaubt man den Zahlen im Inventar: Zwischen 1984 und 1986 fielen an die 80 Prozent aller Baumarten unter „Schadstufe 0“, waren also „ohne Beschädigung“. Bei den Buchen war 1984 nur jede Zwanzigste „deutlich beschädigt“, nicht zwei von drei wie im vergangenen Jahr.

Was davon zu halten ist? Martine Neuberg holt erst einmal tief Luft. 1984 hätten die Erhebungen in Luxemburg begonnen. Damals sei das „Waldsterben“ in aller Munde gewesen und der „Saure Regen“ wegen Schwefelemissionen ein geflügeltes Wort. „Gegen diese Emissionen wurden Maßnahmen ergriffen, da verbesserte sich viel.“

Die Inventare der letzten Jahre gäben vor allem die Auswirkungen extremer Witterungen wieder, also der heißen und trockenen Sommer 2018 und 2019. Der diesjährige Sommer ist moderater, bisher jedenfalls. „Aber Bäume erholen sich nicht so schnell“, sagt Martine Neuberg. „Ich kann nicht sagen, wieviel Wald bei uns tatsächlich nicht mehr zu retten ist.“ Das bleibe abzuwarten und lasse sich eher über zehn Jahre hinweg einschätzen. Hinzu komme, dass die jährlichen Inventare allein nicht die ganze Komplexität der Zustände in den Wäldern erfassen. „Das ist ein statistisches Verfahren, aber es ist europaweit einheitlich und erlaubt Vergleiche.“ Auf rasterförmig über die Wälder verteilten Probeflächen werde der Kronenzustand der Bäume bewertet, erhoben, inwieweit sie entlaubt sind, ob die Blätter verfärbt sind, ob die Bäume unter Insektenfraß leiden und von Pilzen befallen sind. Außen vor bei dieser Betrachtung bleibe dagegen beispielsweise die geologische Beschaffenheit der Böden. Die des Gemeindewalds von Biwer etwa fällt in die Formation Keuper; die Böden sind lehm- und mergelhaltig. „Fällt im Winter genug Regen, kann sich auf diesen Böden eine beachtliche Wasserreserve bilden. Aber im Sommer trocknen sie rasch aus.“ Auf solchen „schweren“ Böden hätten viele Bäume Probleme.

Was direkt hinführt zu der „standortgerechten Forstwirtschaft“, auf die die Natur- und Forstverwaltung hinarbeitet. Keine Frage: Der Wald steht unter Druck. „Insbesondere Trockenheit macht ihm zu schaffen, darauf reagieren die Bäume sofort“, sagt Daniel Steichen. „Sie werfen zuerst Blätter ab, um sie nicht mehr versorgen zu müssen. Reicht das nicht, folgen ganze Äste. Vor allem Buchen reagieren damit schnell.“ Herabfallende Buchenäste könnten für Waldspaziergänger regelrecht gefährlich werden. In Deutschland, weiß der Revierförster, hätten Wissenschaftler die Kanäle, über die Bäume Wasser transportieren, mit akustischen Sensoren versehen. Damit konnten sie hörbar machen, wie diese Stränge durch Austrocknung reißen. „So etwas ist irreversibel.“ Und ein Baum, der unter Wasserstress steht, leidet umso mehr, wenn eine Krankheit ihn befällt. „Wird eine Buche von einem Pilz infiziert, kann sie von oben nach unten auseinanderbrechen.“

Im Biwer Gemeindewald stehen viele Buchen, wie überall in Laubwäldern hierzulande. Das hat Tradition: Eichen lieferten Bauholz, Buchen Brennholz. Mancherorts herrscht nahezu Buchen-Monokultur; in Teilen des Gréngewald etwa sind 95 Prozent der Bäume Buchen. „Und ausgerechnet die Buche bekommt nun auch Probleme“, sagt Steichen. „Wir Förster dachten immer: Egal was geschieht, die Buche bleibt!“ Seit drei Jahren ungefähr sei das fraglicher geworden.

Vielfalt soll diesem Trend entgegenwirken. Revierförster Steichen und Forstdienstchefin Neuberg sind mit ihrem Journalistenbesuch an einem Waldstück angekommen, das exemplifiziert, wie „standortgerechte Forstwirtschaft“ gemeint ist. Buchen und Eichen stehen hier, von Letzteren seien manche 160 bis 180 Jahre alt, berichtet Daniel Steichen. Der Eichenbestand soll hier durch Nachpflanzungen vergrößert werden. Mehr Vielfalt heiße aber nicht nur, mehr Arten, sondern auch genetische Vielfalt innerhalb der Baumarten. Dafür mache man sich vor allem natürliche Kreuzungsmöglichkeiten zunutze, Samen einzukaufen, sei nicht oft nötig. Doch von Menschenhand eingegriffen werden, um den Wald zu erhalten, muss offenbar. Ihn sich selber zu überlassen, würde nicht reichen. Nur in Form von „Inseln“ zum Beispiel wird Totholz auf dem Waldboden belassen, damit es verrotten und Nahrstoffe und Kleinlebewesen zurück in den Boden geben kann. Und manche jungen Eichenbäume wurden von Wildschutzzäunen umgeben, damit Rehe sie nicht fressen: „Rehwild“, sagt Daniel Steichen, „kann nur wenig Nahrung aufnehmen und sucht sich deshalb energetisch hochwertige Pflanzen aus.“ Zum Beispiel Blätter und Knospen junger Eichen, am liebsten die Knospen. „Aber werden die jüngsten Knospen einer jungen Eiche weggefressen, wirft sie das ein Jahr im Wachstum zurück, dann wächst sie ab den nächstälteren Knospen weiter.“ Würden die Knospen immer wieder gefressen, werde aus einer Eiche nie ein großer Baum, sondern „eine Art Bonsai“.

Versucht wird, nachzupflanzen, was zum jeweiligen Boden passt. Der Ansatz der Natur- und Forstverwaltung laute, dass zu den Luxemburger Waldstandorten passt, was nach der letzten Eiszeit heimisch wurde, erklärt Martine Neuberg. Was theoretisch eine Menge Baumarten umfasst, auch seltenere, wie etwa Ahorn oder Speierling. Dagegen wird in Deutschland und der Schweiz auch damit experimentiert, Arten aus dem Süden anzusiedeln, in der Hoffnung, dass sie dem Klimawandel besser widerstehen. „Das tun wir nicht.“ Mit Importen sei das so eine Sache. Nach den Stürmen der Neunziger wurde in Westeuropa versucht, Arten aus Rumänien und der Türkei anzusiedeln. „Doch die erwiesen sich nicht unbedingt als angepasst, das ist ziemlich komplex.“ Aber dass, wie vergangene Woche im Spiegel zu lesen war, in Deutschland niemand genau wisse, welche Art Bäume in den nächsten 50 Jahren die geeignetsten sind, sieht Martine Neuberg ähnlich. „Keiner weiß, was in den nächsten 50 Jahren geschehen wird, wie warm es wird, wieviel Regen es gibt.“ Dagegen wisse man, dass es in letzter Zeit im Frühjahr nicht genug Regen gab: „Im letzten Winter regnete es bei uns ziemlich viel, aber Bäume brauchen Regen vor allem im Frühjahr, denn dann treiben sie aus.“ Fehlt der Frühjahrsregen, beginnt der Stress. Heiße Sommer vergrößern ihn, und Schädlinge und Krankheiten können den Bäumen den Rest geben.

Kein Wunder, dass beim Waldrundgang in Biwer bei genauerem Hinschauen immer wieder Bäume auffallen, die wenige Blätter tragen, keine richtige Krone mehr haben oder, wie eine junge Buche, völlig vergilbt sind. „Zum Glück sind die Zweige dieses Baumes noch flexibel“, stellt Daniel Steichen fest, nachdem er manche vorsichtig gebogen hat. „Dieser Baum kann sich wieder erholen. Knospen hat er auch.“ Dagegen scheinen die Blätter einer Ulme so braun, dass sie sich vielleicht nicht mehr erholt. Dabei sei das die einzige Ulme im ganzen Revier, sagt Daniel Steichen.

Steichens Revier ist fast 700 Hektar groß. Davon sind 430 Hektar in Gemeindebesitz, größtenteils von Biwer, teils auch von Manternach, 250 Hektar gehören dem Staat. Landesweit gibt es fünf Forstbezirke und in jedem zehn bis zwölf Reviere.Die Natur- und Forstverwaltung ist zuständig für kommunale und für Staatsforsten, daneben auch – zurzeit noch – für Kirchenwälder. In Zehnjahresplänen werden die Bewirtschaftungsgrundsätze definiert. Sie sollen dafür sorgen, dass Wälder zum Klimaschutz beitragen und CO2 binden, dass sie dem Naturschutz und der Artenvielfalt dienen, aber auch ein Freizeitraum für die Menschen sind und schließlich ebenfalls einer wirtschaftlichen Funktion gerecht werden, indem sie Holz liefern. Leicht miteinander zu vereinbaren sind all diese Funktionen nicht immer. „Im Süden zum Beispiel werden die Wälder wegen der höheren Bevölkerungsdichte viel mehr als Naherholungsraum genutzt als in ländlichen Gegenden, da sind viel mehr Leute in den Wäldern unterwegs“, sagt Martine Neuberg.

Die Holzwirtschaft wiederum hat Bedarfe, die nicht immer zu den Erwägungen wegen des Klimawandels passen: Fichtenholz ist das einfachste und preiswerteste Bauholz, denn Fichten wachsen rasch. Vor allem im Ösling wurden sie in den Fünfzigerjahren im großen Stil angepflanzt. „Aber sie sind eine submontane Art, also eher Gebirgsbäume“, sagt Martine Neuberg. Das Problem: Fichten vertragen keine hohen Temperaturen, brauchen schon in geringen Tiefen Wasser, weil sie keine tiefen Wurzeln bilden. Was wiederum dazu führt, dass sie bei Stürmen schnell umfallen können. Geraten sie unter Hitze- und Wasserstress, fallen Fichten umso eher dem Borkenkäfer zum Opfer. „Im Moment haben wir eine echte Borkenkäferplage“, sagt Daniel Steichen. „Deshalb ist der Fichtenholzpreis im Keller. Für die Fichtenwaldbesitzer ist das ein Riesenverlust.“ Private Waldbesitzer, von denen es vor allem im Norden des Landes viele gibt, für eine standortgerechte Forstwirtschaft zu gewinnen, sei oft nicht einfach, sagt Martine Neuberg. Der Staat helfe mit gezielten Subventionen nach, doch die klima- und artenschutzgerechte Försterei erfordert ziemlich viel Knowhow.

Fichten stehen im Biwer Gemeindewald nur wenige. Was auch zeigt, dass die fortstwirtschaftlichen Erfordernisse selbst im kleinen Luxemburg von Region zu Region sehr verschieden sein können. Aber eine Freifläche von an die zehn Ar, zu der der Rundgang nun geführt hat, ergab sich durch Abholzung eines ganzen Fichtenbestands. „Da war der Borkenkäfer drin“, sagt Steichen lakonisch. Oft erkenne man das erst spät, denn die Bäume reagieren auf die sich in die Borke bohrenden Käfer mit der Produktion von Harz, das die Bohrlöcher verschließt. „Kann sein, ein Baum ist total befallen, aber auf den ersten Blick sieht er gut aus.“

Und noch andere Schädlinge kann Daniel Steichen aufzählen. Der Splintkäfer befällt Ulmen und bringt einen Pilz mit, der den Wassertransport dieser Bäume stört. Eschen werden von einem Pilz heimgesucht, dessen kleine Sporen in der Luft herangeweht werden. Sie lassen die Triebe der Eschen absterben. In Ahornbäumen geht die Rußrindenkrankheit um, in Douglasien, einer aus Nordamerika eingeführten Nadelbaumart, ein Pilz, der sie schneller ihre Nadeln verlieren lässt. Im Ösling, sagt Martine Neuberg, gebe es Schmetterlinge, die die Blätter von Eichen-Lohhecken fressen. „Das kann so massiv sein, dass man es beim Vobeigehen hört!“

Was tun? Dem Wald, der in Luxemburg rund ein Drittel der Landesfläche bedeckt, immer wieder aufhelfen, behutsam und mit Blick auf ökologische Zusammenhänge. Wie wichtig Wald ist, sehe man zum Beispiel daran, dass in Städten versucht wird, vermehrt Bäume anzupflanzen, betont Daniel Steichen. „Bäume filtern die Luft, sie binden Staub, sie sorgen für Kühle.“ Nicht von ungefähr könne in einem Wald die Temperatur im Sommer um bis zu zehn Grad niedriger sein als außerhalb. Zum Glück, sagt Martine Neuberg, gebe es in Luxemburg keine derart riesigen Freiflächen in den Wäldern wie etwa in Teilen Deutschlands, wo heiße Sommer, Trockenheit und Schädlinge keine andere Wahl ließen, als abzuholzen. „Wenn ganze große Flächen wegfallen würden, weil die Bäume es nicht mehr packen, das wäre das Schlimmste.“

Peter Feist
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