Nordstrooss bis

Viele Wege führen nach Mersch

d'Lëtzebuerger Land du 06.07.2000

Mit einiger Spannung war sie erwartet worden, die aktuelle Stunde, die am Dienstag Nachmittag auf Antrag von Déi Gréng im Parlament stattfand. "Anscheinend wird im Bautenministerium neuerdings verstärkt über die Westvariante der Nordstraße nachgedacht", löckte Camille Gira den Stachel wider die Bautenministerin Erna Hennicot. Sollte das stimmen und am Ende das Lebenswerk von Hennicots Vorgänger Robert Goebbels bedroht sein? Würde die Chamber schon bald wieder über eine Trasse diskutieren, die bei Strassen von der Arloner Autobahn abzweigt, in einem Tunnel das Brideler Plateau unterquert und über Hünsdorf und Gosseldange nach Mersch führt?

Gira blätterte einen umfangreichen Fragenkatalog auf: Die Gemeinde Kopstal ist dagegen, den Verkehr aus dem ersten, demnächst fertig gestellten Teilabschnitt der von Ettelbrück kommenden Nordstraße ab der Ortsumgehung Mersch provisorisch durch die enge und kreuzgefährliche Landstraße über Schoenfels und Kopstal fließen zu lassen; was will die Mi-nisterin tun? Stimmt es, dass die Trierer Autobahn zwischen dem Dreieck Kirchberg und Senningerberg dreispurig ausgebaut werden soll, und wenn ja, wieso wurde das am Parlament vorbei entschieden? Ist es wahr, dass bei Lorenzweiler Schwemmsand den Bau des 930 Meter langen Alzette-Viadukts erschwert? Gibt es geologische Probleme beim Vortrieb des Tunnels unter dem Stafelter bei Walferdingen und dem zwischen Blascheid und Lorenzweiler? Soll in letzterem Tunnel mit seinem 4,5 Prozent starken Gefälle tatsächlich eine dritte Spur ge-baut werden? Ist es richtig, dass jüngste Verkehrszählungen ergeben ha-ben, dass der aus dem Norden kom-mende Schwerlastverkehr ab Mersch vor allem nach Belgien fährt und nicht in Richtung Deutschland, und ist deshalb die Westvariante bei der Straßenbauverwaltung wieder im Ge-spräch?

Doch die Sensation blieb aus. Die vor drei Jahren vom Parlament nur gegen die Stimmen von Déi Gréng und bei Enthaltung der beiden LSAP-Deputierten Françoise Kuffer und René Kollwelter verabschiedete Ostvariante stünde nicht zur Disposition, er-klärte Erna Hennicot. Alle anderen Behauptungen seien Gerüchte. Mit den streitenden Gemeinden Kopstal und Mersch werde sich schon eine Lösung finden lassen, man habe ja Zeit bis Ende 2001. Die Straße zwischen Mersch und Kopstal müsse "verbessert", Kurven müssten begradigt, die Straße hier und da auf sieben Meter verbreitert, die Höchstgeschwindigkeit, wo nötig, auf 60 km/h begrenzt werden. Im Grouft-Tunnel vor Lorenzweiler sei tatsächlich eine dritte Spur vorgesehen, die Kosten da-für seien noch nicht klar, würden aber baldmöglichst der Budgetkontrollkommission mitgeteilt. Von geologischen Problemen beim Tunnelvortrieb wisse sie nichts, erklärte die Mi-nisterin, und die Probleme beim Bau des Alzette-Viadukts seien "nicht un-überwindlich".

Dass ihre Auskünfte so knapp ausfielen, überrascht nicht. Im Grunde will niemand noch einmal den bösen Geist aus der Flasche lassen und er-neut in die hoch emotionalisierte De-batte einsteigen, die Robert Goebbels 1996 mit der Vorlage des damals heftigst umstrittenen Spezialgesetzes be-endet hatte, das die Entscheidung über den Nordstraßenbau zum legislativen Akt von besonderer nationaler Bedeutung erklärte und damit gleich vier umweltschutzrelevante Gesetze außer Kraft setzte. Ganz frei von e-i-nem schlechten Gewissen aber schienen am Dienstag außer dem ADR, das noch immer den wirtschaftlichen Ge-deih des Nordens von der Schnellstraße abhängig macht, auch CSV, DP und LSAP nicht zu sein. Und der CSV-Deputierte Nicolas Strotz hielt Alex Bodry (LSAP) vor, dieser hätte sich als Umweltminister seinerzeit eben stärker für die "ökologischere und preiswertere Westvariante" einsetzen sol-len. LSAP-Fraktionspräsident Jeannot Krecké (LSAP) brachte auf den Punkt, dass den Ostvariantenbefürwortern von damals Gesichtsverlust droht: "Die Ostvariante noch einmal in Frage zu stellen, ist politisch nicht opportun." Frei von Schuld sind al-lein die Grünen.

Während das Hohe Haus die Bauarbeiten an der 14,7 Kilometer langen Trasse mit ihren 7,5 Tunnelkilometern und dem Kostenpunkt von knapp 15 Milliarden Franken also nicht in Frage stellte, halten sich aus dem Umfeld der Straßenbauverwaltung dennoch die Gerüchte, es werde an einer Westvariante geplant, von der Ostvariante aber wenigstens die Autobahnverbindung vom Kirchberg zur Echternacher Straße realisiert.

Seit der Verabschiedung des Nordstraßengesetzes nimmt auf den Straßen draußen im Land die Blechlawine immer weiter zu. In den letzten Jahren auch westlich der Hauptstadt. Dieses Leid klagen angesichts der Entscheidung des Bautenministeriums, die Umgehungsstraße von Mersch zu öffnen, noch ehe die gesamte Trasse bis zum Kirchberg fertig gestellt ist, nun die Gemeinden in der Region. Josette Steichen-Rausch, Bürgermeisterin von Kopstal, hat es in ihrer Ge-meinde nicht nur mit einer - ironischerweise vom Chef der parlamentarischen Bautenkommis-sion John Schummer (DP) - präsidierten Bürgerinitiative gegen mehr Verkehr aus Mersch zu tun, sondern auch mit mehr Autos vor allem durch das zu Kopstal gehörende Bridel. Von der Gemeinde in Auftrag gegebene Zählungen haben ergeben, dass in den letzten drei Jahren der Verkehr auf dem Brideler Berg um 30 Prozent zu-genommen hat, aus Richtung Autobahnabfahrt Bridel um 28, auf der Straße von Bridel nach Kopstal um 22 Prozent. Auch deshalb, sagt Josette Steichen-Rausch, hätten so viele Kopstaler und Brideler Interesse an der Bürgerinitiative: "Dass die Straße von Mersch nicht gemacht ist für mehr Verkehr, ist das eine. Wir wollen aber auch nicht noch mehr davon bei uns haben."

Zum Verkehrsinfakt in Bridel trägt of-fenbar die Autobahnabfahrt bei. Die Grünen hatten deren Öffnung noch während der Debatte um das Nordstraßen-Spezialgesetz per Motion verhindern wollen, scheiterten aber an CSV, LSAP und DP. Nun will Bautenministerin Erna Hennicot den Bau ei-ner Süd-Umgehungsstraße vorantreiben, die den Verkehr von der Abfahrt an Bridel vorbei zum Biirgerkräiz lenken soll. Die Grünen hatten mit diesem Szenario vor drei Jahren einen zusätzlichen Zuwachs an Verkehr im Alzette-Tal verbunden. Würden doch Autofahrer von der Arloner Autobahn mit Reiseziel Luxemburger Norden eher über Bridel, Walferdingen und Lorenzweiler zur Nordstraße fahren als den Autobahn-Contournement um die Hauptstadt zu nehmen, um schließlich auf dem Kirchberg in die Nordstraße einzubiegen. In diesem Fall, so die Überlegungen von da-mals, könnte sich noch früher be-wahrheiten, was im Herbst 1996 die von dem Schweizer Ingenieurbüro Basler vorgelegte detaillierte Impaktstudie prognostiziert hatte: Im oberen Alzette-Tal würde die Nordstraße wohl für eine Verkehrsberuhigung sorgen. Nicht aber im Raum Walferdingen.

Das würde auch dem Walferdinger Bürgermeister Carlo Meintz nicht ge-fallen. Allerdings sind er und sein Schöffenrat davon überzeugt, dass das Gros der Autofahrer auf der Autobahn bleiben wird. Der im Nordstraßengesetz vorgesehene Rückbau der Nationalstraße 7 zwischen Walferdingen und Mersch sowie eine Sperrung des Brideler Bergs für LKW sollten dazu beitragen. "Andernfalls würden die Leute in Walferdingen verrückt."

Doch ob zumindest das Gros der PKW-Fahrer nicht doch den kürzesten Weg zwischen zwei Autobahnen nehmen wird, muss sich zeigen. Jos Halsdorf, Bürgermeister von Kehlen, ist überzeugt davon, dass Kehlen, Keispelt und Olm - ähnlich wie Kopstal - in letzter Zeit immer stärker vom Transitverkehr ab der Arloner Autobahn in Richtung Mersch betroffen sind. Deshalb müsse in diesem Raum eine neue Straße her, sagte Halsdorf am Dienstag Abend im RTL-Fernsehen; gegenüber d'Land erklärt er, zwischen 1994 und 1999 sei der Autoverkehr durch Kehlen um 36 Prozent gewachsen, davon der Schwerlastverkehr um 30 Prozent. "Und Studien zu Folge sind 85 Prozent davon Transitfahrten von der Arloner Autobahn her!"

Damit will der Kehlener Bürgermeister Vorhaltungen von Seiten Erna Hennicots entkräften, wonach durch die Einrichtung der Kehlener Industriezone die Misere um Kehlen, Keispelt und Olm zu einem Großteil hausgemacht sei. Aber obwohl die Bauten-ministerin der Meinung ist, dass Um-gehungsstraßen um die drei Orte nicht viel nützen würden, will sie "verstärkt darüber nachdenken" lassen. Was im Grunde nicht viel mehr als ei-ne Verfahrensfrage und eine des Geldes ist. Die planerische Arbeit zu insgesamt 24 Ortsumgehungen hat schon vor drei Jahren Straßen-Visionär Goebbels erledigt und in einem Plan directeur festgehalten. Sollten jedoch die dort vorgesehenen Umgehungen zwischen Arloner Autobahn und Alzettetal realisiert werden (Um-fahrung Industriezone Kehlen, plus Umfahrung Kehlen, plus Keispelt, plus Bridel), dann käme das einer  zu-sätzlichen West-Variante der Nordstraße schon recht nahe. Obendrein käme damit, wenngleich etwas weitab von Luxemburg-Stadt, der Autobahnring um die Hauptstadt, der an seiner Westseite auch nach dem Bau der Nordstraße offen bliebe, der Schließung ein Stück näher. Und noch näher, falls tatsächlich jene Entlastungsstraße von Mersch zur Arloner Autobahn gebaut würde, die nicht nur dem Kehlener Bürgermeister gefallen würde, sondern auch seiner Kopstaler Kollegin: "Wenn man die Straße zwischen Kopstal und Kehlen verlaufen lassen würde, das wäre das Beste." Auch, weil die Gegend noch dünn besiedelt ist und große Bürgerproteste wenig wahrscheinlich wären. 

Es führen also viele Wege nach Mersch. Ganz ohne Logik ist diese Entwick-lung nicht. Auch ohne weitere Expertenstudien scheint es nicht abwegig, dass bei wachsender Urbanisierung der weiteren Region um die Hauptstadt sich der Autoverkehr bei andauerndem laissez-faire in der Transportpolitik den Weg des ge-ringsten Widerstandes sucht. Und kei-ne der Gemeinden, die nach Umgehungs- und Entlastungsstraßen rufen, will im nächsten Atemzug einen Ausbau des öffentlichen Transports. Un-ter diesem Blickwinkel aber ist nicht nur die Realisierung der Nordstraße durch den Gréngewald ein ökologisches Desaster: Auch im Pro-Nordstraßen-Lager redete man sich im Juli 1997 das Einverständnis zum Eingriff in den Gréngewald stets damit schön, dass doch BTB bald käme. Derzeit ist der Stand der Dinge ein anderer.

Eine besonders delikate Aufgabe hat Umweltminister Charles Goerens vor sich: Die vom Bautenministerium vorgeschlagene provisorische Verbindung zwischen Mersch und der Hauptstadt führt durch das Mamertal, das Naturschützern wegen seiner Größe und Naturbelassenheit als noch wertvol-ler gilt als der Gréngewald. Weil es als Habitat ausgewiesen ist, ist es laut europäischen Vorschriften am Umweltminister, nach Vorliegen ei-ner Impaktstudie zu entscheiden, welche "Verbesserungen" an der un-fall-trächtigen Landstraße notwendig sind. "Natürlich muss es mir um die Si-cherheit der Autofahrer gehen", sagt Charles Goerens dazu, "aber ich bin der Nachhaltigkeit verpflichtet und werde nicht dafür sorgen, dass auf die-ser Straße künftig mehr und schnel-ler gefahren werden kann." Was klingt, wie die Quadratur des Kreises, und am En-de könnte noch eine Westvariante zur Nordstraße entstehen: wiederum durch einen schützenswerten Naturraum.

 

Peter Feist
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