Der Geheimdienst hat immer eine Mission, die im Gesetz steht, und eine, die, nun ja, zwischen den Zeilen steht

Vom Spëtzeldéngscht zum Verfassungsschutz

d'Lëtzebuerger Land du 18.01.2013

Émile Krieps, der 1998 verstorbene Widerstandskämpfer, Offizier, Armeeminister und DP-Abgeordnete, hatte dem Service de renseignements am 15. November 1990 im Parlament vorgeworfen, „am Numm vun der CSV politesch Surveillancë gemaach“ zu haben. Wie Recht er wohl hatte, lässt sich schon an Kleinigkeiten ablesen. Etwa an der Sitzordnung vergangene Woche, als der parlamentarische Ermittlungsausschuss Geheimdienstdirektor Patrick Heck anhörte: Rechts saßen Schulter an Schulter Heck und die fünf CSV-Abgeordeten, ihnen gegenüber eine Front von LSAP, DP, ADR und déi Lénk. Während die anderen Parteien jede Menge Fragen über die Funktionsweise des Nachrichtendienstes stellten, schien er für die CSV keine Geheimnisse zu haben. Denn sie beschränkte sich in der dreieinhalbstündigen Sitzung auf die polemische Frage, ob sich der von dem Liberalen Charles Goe­rens und dem Grünen François Bausch geleitete Geheimdienstkontrollausschuss nie daran gestört habe, dass wichtige Ausführungsbestimmungen zum gesetzlichen Rahmen des Nachrichtendienstes bis heute fehlen. Die Antwort war: Richtig gestört hat er sich daran nicht. Polemisch war die Frage trotzdem, weil selbstverständlich auch der CSV-Fraktionssprecher dem Ausschuss angehört und Bescheid wusste. Vielleicht soll man das der CSV nicht einmal verübeln. Denn als der Vorschlag aufkam, einen Verantwortlichen des Wirtschaftsministeriums vorzuladen, um nach der rechtlichen Grundlage dessen hauseigenen Spions zu fragen, schien Ausschussvorsitzender Alex Bodry sich blitzschnell daran zu erinnern, dass es sich hier um ein LSAP-Ministerium handelt. So entschied er, dass man sich mit der Bitte um eine schriftliche Auskunft zufrieden geben soll. Obwohl Direktor Patrick Heck und der Ausschuss eine Woche zuvor bei einer vertraulichen Zusammenkunft am Sitz des Geheimdienstes in der Escher Straße ihren öffentlichen Auftritt geprobt hatten, konnte Heck jede Unterstützung gebrauchen. Denn als er unter Eid erzählte, er habe fast bis zu seiner Ernennung nicht gewusst, weshalb sein Vorgänger Marco Mille den Dienst verließ, durfte man sich fragen, wozu ein Geheimdienst gut sein soll, der während Monaten nicht einmal mitbekommt, dass sein eigener Direktor wegen eines Skandals gehen musste. Da haben die CSV-Abgeordneten alle Hände voll zu tun, nicht nur den Nachrichtendienst, sondern auch Premier Jean-Claude Juncker in Schutz zu nehmen. Der offenbar kaum von Unrechtsbewusstsein geplagte Marco Mille erzählte dem Ermittlungsausschuss diese Woche putzmunter, dass er sieben Jahre unbezahlten Urlaub beantragt und bewilligt bekommen hatte, um sich beruflich zu verändern und dem Nachrichtendienst eine Verjüngung zu ermöglichen. Und während ihn die Erinnerung sonst oft im Stich ließ, konnte er sich genau daran erinnern, dass er am 16. Dezember 2008 die „hoch emotionale“ Aussprache mit dem Premier über das heimlich aufgenommene Gespräch geführt hatte. Das wäre Monate früher gewesen, als Juncker während seiner Pressekonferenz vor sechs Wochen behauptet hatte, der erst im Juni 2009 den parlamentarischen Kontrollausschuss informierte und Mille bis Februar 2010 im Amt ließ. Mille wollte am Dienstag nicht ausschließen, dass Agenten des Dienstes sich verselbständigt hatten, wovon eine Woche zuvor Heck schon „gehört“ hatte. Mille wusste auch, dass er nicht alleine dem Regierungschef berichtete, sondern hinter seinem Rücken auch andere Agenten Zugang zum Pre­mier hatten. Dass Juncker dies zuließ, zeigt, wie wenig er Mille schon lange vor dessen Fall vertraute. Einer dieser Agenten berichtete Juncker schließlich, dass der Direktor ein Gespräch mit dem Premier heimlich aufgezeichnet hatte. Heck und Mille waren sich einig, dass unter Direktor Charles Hoffmann und bis zur Gesetzesreform von 2004 die einzelnen Abteilungen des Geheimdienstes „extrem stark abgeschottet“ waren und jede ihre Geheimnisse gehütet habe. Die eine Abteilung habe nicht gewusst, was die andere getan habe, viele Beamten hätten oft auf eigene Faust gehandelt. Aber starke Kompartimentierung ist nicht nur ein Verstoß gegen die zehn Gebote des New public management, sondern auch die übliche Organisationsform von Geheimdienstoperationen, um so mehr als diese sich von ihrer Natur her immer am Rand der Legalität abspielen. Und obwohl Heck und Mille sich das Verdienst um die Reformversuche im Spëtzeldéngscht streitig machten, hat sich bis heute weniger geändert, als von allen Beteiligten behauptet. Denn Ausführungsbestimmungen zum Geheimdienstgesetz von 2004 und zum Datenschutzgesetz von 2002 fehlen bis heute; das interministerielle Komitee unter dem Vorsitz des Staatsministers kam noch nie zusammen; der Dienst verwehrt der eigens dafür geschaffenen Datenschutzkommission bis heute den Zugang zu seinen Datenbanken, weil sie nicht über die nötige Sicherheits-Clearance verfüge. Dass die großherzoglichen Reglemente fehlen, schafft weiterhin eine gesetzliche Grauzone, mit welcher der Nachrichtendienst, der Staatsminister und der Kontrollausschuss im Interesse der Staatsräson seit bald einem Jahrzehnt ganz gut leben konnten. Mille erinnerte sich am Dienstag an die Periode zwischen 1998, als er dem Dienst als Abteilungsleiter angehörte, und 2003, als er selbst Direktor wurde, die Zeit seines Vorgängers Charles Hoffmann: „Ein konkretes Beispiel war, dass ich als Mitarbeiter sah – und wir reden hier von offenen Informationen, Interviews in einer Zeitung im Wahlkampf –, dass sich der Direktor über die politische Aktualität informierte, dass er sagte: Das ist ein interessanter Artikel, den er kopierte, der lag bei seinen Unterlagen, dann ging der Artikel ins Archiv, dann nahm der Archivar den Artikel, machte eine Mikrofiche, das hat er getan, und er hat sie nach irgendeiner Logik abgelegt. Das konnte nach den Namen sein, wenn es ein Artikel über eine Person oder von einer Person war, bei einem Interview war es wahrscheinlich nach dem Namen, das konnte eine Organisation sein, oder sonst irgendetwas.“ Der Chef des politisch interessierten Geheimdienstdirektors hieß damals nicht Pierre Werner, sondern Jean-Claude ­Juncker. Doch 2004, als durch die Gesetzesreform die parlamentarische Kontrollkommission geschaffen wurde, ließ Mille die Unterlagen über sechs Abgeordnete aus der Kartei entfernen. Die Kommission hatte er nie darüber informiert. Angeblich, weil er das nicht „relevant“ fand, wie er am Dienstag meinte. Aber vielleicht wollte er allen Beteiligten die Peinlichkeit ersparen, dass ein Abgeordneter bei einer Kontrolle auf sein eigenes Geheimdienstdossier stieß. Ein anderer Politiker, über den der Nachrichtendienst Informationen zusammentrug, ist Großherzog Henri. In dem von Mille heimlich aufgezeichneten Gespräch mit dem Premier wollte der Dienst über „glaubwürdige Berichte“ verfügen, laut denen der Großherzog „ständig selbst Kontakte mit dem englischen Dienst unterhält“ (d’Land, 30.11.2012). Weshalb er die parlamentarische Kontrollkommission nie darüber informierte, wollte Mille am Dienstag nicht sagen. Trotzdem durfte Ausschusspräsident Alex Bodry nach der Sitzung die Fernsehzuschauer beruhigen, dass es „kein Indiz und keine Beweise“ gebe. Um so entschiedener beteuerte Heck: „Wir arbeiten nicht auf politischen Parteien, ganz klar, kategorisch“, auch nicht auf politischen Mandatsträgern, Gewerkschaften. Dem pflichtete sein Vorgänger Marco Mille bei, „dass es politische Überwachung“, auch von Kriegsgegnern und Umweltaktivisten, „nicht gegeben hat, und dass sie auch vom Staatsminister nicht erlaubt worden wäre, im Gegenteil, dass sie verboten war. Die hat es nicht gegeben.“ Um so mehr überraschte der amtierende Direktor Patrick Heck am Freitag, als er die Aufgabe seines Nachrichtendienstes wiederholt als „Verfassungsschutz“ bezeichnete. Denn davon geht keine Rede im Geheimdienstgesetz von 2004. Dort heißt es, dass der Dienst tatsächliche und potenzielle Bedrohungen der Staatssicherheit aufspüren soll. Verfassungsschutz ist dagegen eine innenpolitische Tätigkeit und eine sehr deutsche Spezialität. Dort überwachte  das 1950 im Westen gegründete Bundesamt für Verfassungsschutz im Kalten Krieg mit Ostdeutschland und danach Gegner der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, ließ sie in den Siebzigerjahren mit Berufsverboten belegen und überwacht bis heute ausgewählte Parteien innerhalb und außerhalb des Parlaments. Von bisher 13 Präsidenten mussten übrigens sieben wegen  allerlei Skandale zurücktreten. So viel dazu, dass ein Geheimdienstchef nicht gefeuert werden darf. Dem Geist des Verfassungsschutzes als Geheimdiensttätigkeit in Deutschland kommt hierzulande das 1937 in einem Referendum abgelehnte Maulkorbgesetz von CSV-Premier Joseph Bech am nächsten. Dabei sind heute bei Einstellungsexamina für Beamte der oberen Laufbahn im Nachrichtendienst Kenntnisse der Luxemburger Verfassung höchstens 15 von 120 Punkten wert.

Romain Hilgert
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