Eine Besprechung des bei Saint-Paul erschienenen Romans Fremde Heimat von Béatrice Peters gehört eigentlich eher in den Politikteil einer Zeitung als in den Bereich von Kunst und Kultur. Literarisch hat dieses Buch nämlich nicht viel zu bieten: Der Plot enthält kaum Spannung oder überraschende Momente, die Figuren fallen relativ flach aus, die Sprache ist gefälliger Standard. Seine Relevanz gewinnt der Roman durch die bitter notwendige Diskussion, zu der er einen Beitrag leistet – oder die er vielleicht überhaupt einmal richtig anstoßen will. Fremde Heimat wirkt wie eine Streitschrift im Gewand eines Romans; das Buch befasst sich mit den Chancen junger Einwanderer vor allem lusophonischer Herkunftsländer auf Integration und beruflichen Erfolg.
Dass es um diese Chancen in Luxemburg nicht zum Besten bestellt ist und dass das Schulsystem wenig dazu beiträgt, jungen Einwanderern den Weg zu höheren Schulabschlüssen zu ebnen, braucht Peters niemandem zu beweisen, auch nicht, dass die Alphabetisierung auf Deutsch und der Vorrang des Deutschen bis zur Mittelstufe auf luxemburgische Muttersprachler zugeschnitten ist und von Schülern mit romanischer Muttersprache prinzipiell schwerer bewältigt werden kann. Immer noch finden verhältnismäßig wenige portugiesischsprachige Schüler ihren Weg ins Gymnasium; viele tun sich auch in den Real- und Berufsschulen mit den dort weitaus niedrigeren sprachlichen Ansprüchen schwer.
Anhand ihres Protagonisten Jo (kurz für: João), der im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern nach Luxemburg kommt, zeigt die Autorin, wie die schulische Laufbahn eines portugiesischen Einwanderers nur im Ausnahmefall verläuft: Der begabte, lernwillige Schüler schafft mit Hilfe der Unterstützung einer Grundschullehrerin, bei der seine Mutter putzt, den Anschluss in der Grundschule. Mit Fleiß und Anstrengung meistert er auch das Gymnasium und glänzt später mit hervorragenden Noten im Jurastudium. Schon als Grundschüler zeigt Jo Interesse für die Schwierigkeiten seiner Landsleute im mehrsprachigen Schulsystem. Nach und nach entwickelt er sich zum Albtraum aller Nationalisten, setzt sich für Chancengleichheit ein und tritt einer Partei bei, die sich für die Rechte von Immigranten und ihren Nachkommen in Luxemburg einsetzen will. Ein Hauptziel: Man will Französisch zur wichtigsten Unterrichtssprache machen, Deutsch abwerten und Portugiesisch auf den Lehrplan setzen.
Die Autorin ist darum bemüht, neben den schulischen Nachteilen auch den Alltagsrassismus darzustellen, die unfairen sozialen Bedingungen, die dadurch entstehen, dass Immigranten generell weniger auf gute Beziehungen zurückgreifen können als viele Luxemburger. Etwas schade wirkt, dass sie dabei zu teils krasser Überzeichnung neigt: Die portugiesischen Einwanderer werden als lebensfrohe, strebsame, aber demütige Arbeiter gezeichnet, während die Luxemburger sich fast alle wie die Maden im Speck gerieren, Champagner, Arroganz, Vuittontaschen und teure Autos inklusive. Diese Diskrepanz lässt leider die Frage unter den Tisch fallen, ob vielleicht weniger als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität der soziale Hintergrund über schulischen Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Misslich wirkt auch, dass die Entscheidung, einen erfolgreichen portugiesischen Schüler in den Mittelpunkt zu stellen, die Zustände in Luxemburger Real- und Berufsschulen und das Schicksal der Schüler, die es eben nicht oder nicht so leicht schaffen, an den Rand drängt. Hätte sich die Autorin die Lehr- und Stundenpläne der Schulklassen im „Technique“ angesehen, wüsste sie beispielsweise, dass die Forderungen ihrer Romanfigur nach weniger anspruchsvollen Deutschkursen und auf Muttersprachler romanischer Sprachen zugeschnittene Integrationsklassen längst existieren1.
Reißerisch prangt auf dem Schutzumschlag des Buches die Parole „Allein gegen Luxemburgs Schulsystem“. Eine Kritik am System bzw. an der Politik scheint Peters mit ihrem Buch allerdings am Ende gar nicht mehr anzustreben. Statt auf die strukturellen Mängel abzuheben, personalisiert sie die Problematik und lässt die Lehrer Luxemburgs zu einem groß angelegten Protest gegen Jos „Ausländerpartei“ aufmarschieren, unterstellt ihnen Bequemlichkeit, Rassismus sowie Angst um Privilegien und Arbeitsplätze (etwa S. 253: „Man wollte diesen Ausländern zeigen, wer der Herr im Haus war.“). Ein schöner Dank für alle Lehrer, die sich in der wirklichen Welt abmühen, um weniger privilegierten Schülern trotz aller bestehenden strukturellen Hürden zu einer einigermaßen passablen Bildung zu verhelfen.
Als Grundlage für eine Diskussion im Unterricht wäre das Buch trotz dieser Breitseite gegen Lehrer thematisch hervorragend geeignet – läge der Preis mit 19 Euro nicht deutlich über dem, was man einer normalen (Real-)Schulklasse zumuten kann.
1 Im „Technique“ wird Deutsch auf bis zu drei verschiedenen Niveaus pro Schulklasse unterrichtet.
Elise Schmit unterrichtet Deutsch am Lycée technique du centre
Béatrice Peters: Fremde Heimat. 270 S.
Éditions Saint-PaulLuxemburg 2016.
ISBN 978-99959-2-004-3. 19 Euro.