Sprachenpolitik

Looss viru blénken d'Fräiheetsfritten

d'Lëtzebuerger Land vom 03.04.2003

"'Nationalismus ist Krieg', zitierte der LSAP-Chef General de Gaulle." So berichtete das Luxemburger Wort am 24. März aus Echternach. Und meinte den vom Krebs zerfressenen François Mitterrand, der bei der Vorstellung des Programms des französischen Ratsvorsitzes am 17. Januar 1995 das Europaparlament gewarnt hatte: "Le nationalisme, c'est la guerre."

Eine der Waffen im nationalistischen Krieg ist die Sprache. Die Kantine des US-Kongresses taufte am 11. März die french fries in freedom fries um, weil Mitterrands gaullistischer Nachfolger den US-Angriff auf den Irak kritisiert hatte. So wie ihre Urgroßväter während des Ersten Weltkriegs Sauerkraut liberty cabbage genannt hatten.

Die Sprache ist der einzige regelmäßig angeführte Beleg einer nationalen Identität in Luxemburg, das an einem nationalen Identitätskomplex leidet. Im Parlament sei während der öffentlichen Anhörungen über Einwanderungspolitik von allen Seiten dafür plädiert worden, dass die Integration mittels des Luxemburgischen zu geschehen habe, betonte Unterrichtsministerin Anne Brasseur. Sie stellte am Dienstag im Escher Wobrécken die Luxemburgischfibel für Jugendliche Mir schwätze mateneen vor. Die auf den technischen Sekundarunterricht vorbereiteten Schülerinnen und Schüler aus Immigrantenfamilien waren leicht eingeschüchtert. Aber niemand von ihnen glaubte, dass sie dank dieser Fibel Notare, Geschäftsanwälte oder Zahnärzte werden können.

Das ist eine der Nachrichten von der Sprachenfront dieser Legislaturperiode: dass CSV und DP beschlossen haben, das Luxemburgische zur "Leitkultur" zu machen, ohne das Wort des deutschen CDU-Politikers Friedrich Merz in den Mund zu nehmen. Denn nach dem Verlust des Besitz-, des Bildungs- und Teilen des Wahlprivilegs bleibt ihrer Wählerschaft  bald nur noch die Macht des Sprachprivilegs. Gemeinsam haben CSV, DP und ADR gleich eine Sprachklausel ins Gesetz über die Staatsangehörigkeit gepackt.

Das sei alles verfrüht und unausgegoren, hatte Le Quotidien-Direktor Victor Weitzel am 7. Dezember in Wilwerwiltz gewarnt. Er hatte im Rahmen der Vortragsreihe Lëtzebuergesch: Quo vadis? gesprochen, die seit dem November letzten Jahrs von dem Projekt Moien! und dem Sproochenhaus Wëlwerwolz EB-LUL organisiert wird. Moien! Hat sich auf den Luxemburgischunterricht für Immigranten spezialisiert. Im Sproochenhaus getauften Landhaus des nationalistischen Dramatikers Max Goergen (1893-1978) ist die Luxemburger Zweigstelle des European Bureau for Lesser Used Languages untergebracht.

Eine andere Nachricht: So wie sich die Sprachforscher in den Achtzigerjahren massiv für die Islandistik, Afrikanistik und Jiddistik interessiert hätten, so werde derzeit dem Luxemburgischen Aufmerksamkeit gewidmet. Das meinte am Samstag, ebenfalls auf Einladung von Lëtzebuergesch: Quo vadis?, im Luxusauditorium der Banque de Luxembourg Claudine Moulin, seit Oktober letzten Jahres erste Professorin für Luxemburgistik am Centre universitaire. Aus aller Welt erkundigten sich interessierte Akademiker nach dem Luxemburgischen. Zu ihren eben begonnenen Luxemburgistikkursen an der Universität Namur hätten sich viermal mehr Studentinnen und Studenten eingeschrieben, als erwartet: rund 80.

Als lebender Beweis für Moulins Behauptung stellte die Russin Natalia Filatkina gleich ihre Doktorarbeit über die Redewendungen des Luxemburgischen vor. Unter ihrer Doktormutter Moulin erkannte sie, dass das Luxemburgische "auf allen phraseologischen Ebenen Beson-derheiten" gegenüber dem Hochdeutschen aufweise.

Und darüber darf man sich freuen. Denn, die dritte Nachricht von der Sprachenfront der letzten Jahre ist, dass Moulin zu jenen gehört, die das Luxemburgische zur "jüngsten germanischen Sprache" erklärt haben, nicht mehr Mundart, Dialekt oder Ausbaudialekt. Mit dieser Erkenntnis werden Linguisten wie Politiker gleichermaßen bedient. Erstere heben ihr Forschungsobjekt aus den Niederungen der heimattümelnden oder deutschnationalen Mundartforschung, als sei ein neuer kleiner Planet am Himmel der Germanistik entdeckt worden. Und Letzteren wird im internationalen Wettbewerb der Produktionsstandorte ein wissenschaftlicher Beweis für die nationalstaatliche Eigenart und damit den weiteren Anspruch von Souveränitätsrechten samt restaurativer Ideologie für den Binnenmarkt geliefert.

Die theoretische Vorarbeit dazu hatte für Lëtzebuergesch: Quo vadis?  am 9. November in Ettelbrück der von den Organisatoren liebevoll als "Nationalhistoriker" bezeichnete Gilbert Trausch geliefert: Luxemburger Geschichte von einer Laune des Wiener Kongresses bis zum christlichsozialen "Glücksfall" Jean-Claude Juncker. Die damalige CSV-Präsidentin und Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges hatte in ihrer Begrüßungsansprache pathetisch verkündet, das Luxemburgische stehe "am Scheideweg", wie es zuvor alle nationalistischen Sprachretter seit dem Ersten Weltkrieg taten.

Das Wilwerwiltzer European Bureau for Lesser Used Languages wird vor allem aus Mitteln der Europäischen Kommission finanziert. Doch auch der Luxemburger Staat gibt - noch eine Nachricht - derzeit so viel aus wie noch nie für das Luxemburgische.Trotzdem hielt der Linguist Joseph Reisdoerfer am Samstag eine weitere Erhöhung der Zuschüsse für unumgänglich, um den Forschungsrückstand aufzuholen. Dringend benötigt würden eine zeitgemäße sowie eine historische und vergleichende Grammatik des Luxemburgischen, neben dem geplanten Wörterbuch des modernen Luxemburgisch ein großes wissenschaftliches Wörterbuch, eine Untersuchung der luxemburgischen Literatur nach 1970, ein Sprachatlas der Regionalvarianten und natürlich die Fertigstellung des etymologischen Wörterbuchs der französischen Elemente im Luxemburgischen, an dem Reisdoerfer arbeitet.

Den Darstellungen der Pädagogen Christiane Tonnar, Marie-Paul Origer und Pierre Reding über das Luxemburgische im Schulunterricht am 8. März in Rambruch war aber zu entnehem, dass die Linguistik sich für wichtige Fragen wie die Folgen der Alphabetisierung in einer Fremdsprache  bisher kaum interessiert hat. Wie sie auch weitgehend zu den freiwilligen oder unfreiwilligen politischen Gegenleistungen für die steigenden staatlichen Zuschüssen schweigt.

Die Forschung greift inzwischen zunehmend auf den neuen Schatz der Luxemburgistik zurück, die elektronische Datenbank Luxtext mit 1,8 Millionen Wörtern Luxemburgisch. Aus diesem Corpus konnte auch der Spellchecker Cortina schöpfen, den Jérôme Lulling am 8. Februar in Mondorf vorgestellt hatte, während der pensionierte Tageblatt-Redakteur Josy Braun für die neue Verwirrung stiftende, reformierte Schreibweise warb. Auf eine parlamentarische Anfrage hin hatte die Kulturministerin versprochen, dass das Korrekturprogramm im Laufe des ersten Quartals 2003 zur Verfügung gestellt werde...

In diesem Zusammenhang ist der Einzug einer jüngeren Generation Linguisten, die sich neuer Methoden, vor allem der elektronischen Datenverarbeitung, bedienen, eine weitere Nachricht. Doch ein Teil der Forschung geschieht noch immer "nebenbei" oder im Rahmen von Programmen, denen von Jahr zu Jahr das Geld auszugehen droht. Deshalb war man sich am Samstag einig, dass die Luxemburgistik stabilere Strukturen und längerfristige Forschungsprogramme benötige. Dass es daran fehlt, hängt aber auch mit den endlosen Stammesfehden zwischen den zwei Dutzend interessierten Linguisten und der kaum geringeren Zahl von Einrichtungen, Gremien und Vereinigungen zusammen. Die da reichen von der Section de linguistique, d'ethnologie et d'onomastique des Großherzoglichen Instituts über Forschungsprojekte an ausländischen Universitäten bis zu dem Comité permanent de la langue luxembourgeoise und demnächst der Uni Lëtzebuerg. Die nationalistischen Sprachretter gar nicht mitgezählt, welche die weitere Verwissenschaftlichung ihres vaterländischen Lebenswerks misstrauisch als Form von Enteignung empfinden und es als Misstrauensbekundung erleben, dass nun die Linguisten eine fachliche Ausbildung der Luxemburgischlehrer zu ihren Prioritäten zählen.

Die Nachfrage nach Luxemburgischkursen über Land ist nämlich so groß, dass, unabhängig von jeder didaktischen und linguistischen Qualifikation, derzeit beinahe jeder solche Kurse erteilen kann. Dieses Problems scheint man sich auch im für Erwachsenenbildung zuständigen Erziehungsministerium bewusst, befürchtet aber, dass diplomierte Luxemburgischlehrer auch mehr verdienen wollen.

Romain Hilgert
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