Steuern

TVA-Bekenntnis

d'Lëtzebuerger Land du 15.10.2009

Die Regierungen kommen und gehen und mit ihnen die Koa­litionsabkommen. Doch in allen Koalitionsabkommen gibt es einige zeitlose, wie Glaubenssätze dekretierte Konstanten. Etwa die Beteuerung: „En matière de fiscalité indirecte, le gouvernement s’efforcera de maintenir le taux normal de TVA le plus bas au sein de l’Union européenne et les taux de TVA réduits actuels.“ So steht es beispielsweise im Koali­tionsabkommen von 2004.

Doch in ihrem diesjährigen Wahlprogramm wollte sich die LSAP, anders als noch 2004, nicht mehr festlegen. Während das CSV-Programm noch versprach: „Luxemburg wird jedoch auf jeden Fall die niedrigste Mehrwertsteuer der Europäischen Union behalten.“ So wortgetreu stimmte das allerdings nie. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz ist mit fünf bis 5,5 Prozent in Frank­reich, Großbritannien, Estland, Ungarn und Malta niedriger als in Luxemburg (sechs Prozent); der superreduzierte Satz liegt mit 2,1 Prozent in Frankreich unter dem luxemburgischen von drei Prozent. Gar nicht zu reden von der Bemessungsgrundlage: Anders als in Luxemburg sind Bestattungskosten in sieben EU-Staaten mehrwertsteuerfrei. Und selbst auf den von Premier Jean-Claude Juncker bei jeder Wahlversammlung angeführten Kinderschuhen werden in Luxemburg drei Prozent Mehrwertsteuer erhoben, in Groß­britannien und Irland gar keine.

Umso auffälliger ist, dass das über Jahrzehnte hinweg liebgewonnene Bekenntnis zum niedrigsten Mehrwertsteuersatz der Europäischen Union erstmals in dem neuen Koalitionsabkommen von CSV und LSAP fehlt. Dort heißt es lediglich, ohne deutliche Unterscheidung von direkten und indirekten Steuern: „En matière fiscale, afin de maintenir le pouvoir d’achat et d’éviter d’accentuer la crise, le Gouvernement n’augmentera pas les impôts des personnes physiques durant la crise économique. En raison de la situation des finances publiques, aucune réduction, ou correction en raison de l’inflation, de la fiscalité des personnes physiques ne sera proposée au cours de la première moitié de la nouvelle période législative. La fiscalité évoluera ensuite en fonction de la situa­tion économique et financière de notre pays.“

Wenn die europäischen Staaten die Talsohle der Krise verlassen haben, werden sie alle mit hohen Schulden dastehen, die   für Investitionsprogramme, Firmensanierungen und Beschäftigungsmaßnahmen aufgenommen wurden. So dass nach Jahren des frenetischen Steuerwettbewerbs die wenigsten an Steuererhöhungen vorbeikommen dürften. Und die Erfahrung lehrt auch hierzulande, dass die Erhöhung einer indirekten Steuer trotz und wegen ihres Umverteilungscharakters politisch leichter durchzusetzen ist als die der Einkommenssteuer auf den Gehältern oder Gewinnen. Es gibt nur drei EU-Länder, in denen der Mehrwertsteuerregelsatz seit seiner Einführung so stark gestiegen ist wie in Luxemburg: Seit 1970 wurde er von acht auf 15 Prozent beinahe verdoppelt.

Manches deutet darauf hin, dass, als eine Spätfolge der Krise, die Mehrwertsteuersätze bei der „sortie de crise“ EU-weit um etwa zwei Prozent erhöht werden. Vielleicht verzichtete die Regierung deshalb zur Sicherheit erstmals darauf, das Wort „TVA“ überhaupt in ihrem Koalitionsabkommen zu erwähnen. Dabei dürfte bei einer beinahe oder tatsächlich EU-weiten Mehrwertsteuererhöhung zumindest der Wettbewerbsvorteil niedriger Sätze erhalten bleiben. Auch wenn der Vorteil nicht mehr so wertvoll sein wird, wenn der elektronische Handel ab 2015 im Land der Kunden und nicht mehr in dem der nach Luxemburg geeilten Verkäufer besteuert wird.

Romain Hilgert
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