EU-Mehrwertsteuerpaket

Non, je ne regrette rien

d'Lëtzebuerger Land du 07.06.2007

„Nein“, sagte Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker am Dienstag seinen europäischen Kollegen. Er könne nicht so schnell entscheiden undmüsse beim Vorbehalt bleiben, drang es aus dem Sitzungsaal. 

Damit liegt das Mehrwertsteuerpaket der EU, welches das bisherigeZahlungssystem umkehren soll, erst einmal auf Eis. „Total isoliert“,so Juncker abends zur Presse, sei Luxemburg mit dieser Haltunggewesen und habe sich damit „nicht beliebt gemacht“. Das Nicht-beliebt-Machen, die Blockade-Haltung aus eigennützigen Gründen, liegt ihm, dem großen Europäer nicht besonders, alsdann beeilte er sich zu erklären: „Wir haben das letzte Mal im Oktober 89 ‚Nein’ gesagt. Ich sage nicht, dass es Zeit wurde, um es wieder zu tun, aber andere machen das wesentlich öfter. Hier standen wesentliche Interessen des Luxemburger Landes auf dem Spiel, deswegen hatte ich keine andere Möglichkeit, als heute ‚Nein’ zu sagen.“ 

Auf dem Spiel stehen, das erklärte er morgens seinen Ministerkollegen und abends der Presse, ein ganzes Prozent des Luxemburger Bruttoinlandprodukts (BIP). Laut Eurostat wären das bei einem BIP von rund 33 Milliarden Euro im Jahr 2006 330 Millionen. Für Luxemburger Verhältnisse viel Geld, das Budgetminister Luc Frieden im Staatssäckel fehlen würde. Dieses viele Geld kann Luxemburg augenblicklich durch die europäischen Regelungen für die Abgabe der Mehrwertsteuer (TVA) verdienen, denn die besagen, dass die TVA in dem Land gezahlt wird, in dem das Unternehmen, das sie leistet, seine Niederlassung hat, nicht dort wo der Kunde, der sie in Anpsruch nimmt ansässig ist. Da Luxemburg den niedrigsten Mehrwertsteuersatz in der EU anwendet, etablieren sich e-commerce-Unternehmen seit einigen Jahren gerne hierzulande, um auf ihren im EU-Binnenmarkt verkauften Dienstleistungen nur 15 Prozent TVA verrechnen zu müssen. Die 15 Prozent waren beim Start des Online-Musikportals iTunes in Europa ein eindeutiges Indiz dafür, dass der virtuelle Laden eine Adresse in Luxemburg hatte, obwohl erst einmal nur Franzosen, Briten und Deutsche dort ihre Musik kaufen konnten. Letzte große Ankunft in Luxemburg: das Internet-Auktionshaus Ebay, das ab März seine Geschäfte über einen Rechner hierzulande abwickelt.

Dabei tut Luxemburg in diesem Fall nichts Unerhörtes. Die Mindest-Mehrwertsteuersätze sind auf EUEbene geregelt und je nach Produktoder Dienstleistungen gestaffelt. In der „oberen“ Kategorie liegt dieser eben bei 15 Prozent, den Luxemburgern ist die Anpassung des Satzes von 12 auf 15 Prozent noch gut in Erinnerung. Allerdings entschieden sich nicht alle Länder darfür, es beim Mindestsatz zu belassen. Rezentes und prominentes Beispiel dafür ist Deutschland, das zumJahresanfang auf 19 Prozent hochfuhr und damit europaweit Ängste bei Ökonomen hervorrief, die deutschen Konsumenten könnten aufgrund der Verteurung dem Konsum versagen und damit die Binnennachfrage abschwächen lassen.

Anders als beispielsweise in der Akte „Holding 1929“, die auf Druck der EU-Kommission wegen unlauteren Steuerwettbewerbs zu Grabe getragen wurden, liegt demnach kein Regelverstoß vor. Dabei sind die Regeln noch nicht einmal besonders alt, erst ab 2003 gelten sie. Nun sollen sie im Rahmen des „Mehrwertsteuerpakets“ wieder ändern. Das liegt besonders den Deutschen am Herzen, glauben sie doch besonders stark an Einnahmen durch die so genannten „Mehrwertsteuerkarussels“ zu verlieren. Deshalb soll nun imEmpfängerland abgerechnet werden, nicht mehr dort, wo das dienstleistende Unternehmen seinen Sitz hat, der Standortwettbewerb wird ausgehebelt. 

Wichtig ist: das „Paket“ bezieht sich auf business-to- business-Beziehungen (b2b) und business-to-costumer-Beziehungen (b2c). Das war anfänglich nicht so, es gab demnach einzelne Päckchen, das rief auch Juncker am Dienstagmorgen den vesammelten Finanzministern ins Gedächtnis, meinte, er habe bei der Schnürung des Pakets davor „gewarnt“, die beiden Elemente zu verknüpfen und ihre Annahme im Ministerrat voneinander abhängig zu machen. Denn das b2b ist für die Entwicklung des e-business in Luxemburg wenig erheblich, es sind die 490 Millionen costumers im europäischen Binnenmarkt, die Firmen wie Apple, Amazon und Ebay von hier aus bedienen. Es gelang ihm aber nicht, die Paketschnur durchzutrennen und aus dem großen Paket wieder kleine zu schnüren. Vor allem Dänen und Schweden sperrten sich dagegen, die b2c-Beziehungen auszuklammern, um den Rest der Maßnahmen durchzubringen.

Also diskutierten die Minister beim Mittagessen weiter und auch danach, gegen drei Uhr schließlich meinte Juncker, man sei bereit, unter portugiesischer Ratspräsidentschaft weiter nach einer Lösung für das b2c-Segment zu suchen, diplomatischen Quellen zufolge war dies das größte Zugeständnis,das Luxemburg bisher machte. Ein zähneknirschendes Entgegenkommen signalisierte er später auchgegenüber der Presse: „Wir müssen uns nun die Frage stellen, ob wir bei unserem ‚Nein’ bleiben oder ob wir eine relativ lange Übergangszeit bekommen, bevor die definitive Regelung in Kraft tritt.“ 

Dass die Luxemburger Regierung dermaßen mit den Zähnen knirscht, hängt nicht nur an den 330 Millionen. Es könnten mehr werden, denn den Einnahmenverlust für die britische inland revenue,durch den ab März vollzogenen Umzug durch Ebay bezifferte der Daily Telegraph unlängst auf einen ähnlich hohen Betrag. Aber es geht nicht ums Geld allein. In den Bemühungen um die Diversifizierung der nationalen Wirtschaft sind die virtuellen Läden der einzig durchschlagende Erfolg, der bisher zu verzeichnen ist. Und wo die von Wirtschaftsminister Jeannot Krecké mantraartig wiederholte Taktik des Anlockens großer Namen zwecks Erwecken des Interesses ähnlicher Firmen, voll aufging. Glückselig frohlockten manche gar: „Microsoft wird luxemburgisch.“

Der Klang dieser Worte gefiel vielen Wählern besser, als „Luxemburg soll zum Logistik-Zentrum Europas ausgebaut werden.“ Denn da fürchten viele Not-in-my-backyard-Luxemburgerdas Verkehrsaufkommen; der Stau auf der Datenautobahn stört sie weniger. Die virtuellen Einkaufszentren machen herrlich wenig Dreck, der muss dann später gar nicht erst entsorgt werden. Juncker hielt dem Ministerrat auch etwas trotzig vor, der Erfolg dese-Standortes hänge nicht allein vom Steuervorteil ab, man habe viel in die Infrastruktur investiert. Luxemburg habe viel getan, um von der Datenlandstraße auf die Autobahn abzubiegen, die Anbindung ins Ausland verbessert, um die nötigen Kapazitäten bereit zu stellen, heißt es in Regierungskreisen. Auch verfüge man in Luxemburg mittlerweile über zwei Datenzentren der höchsten Sicherheitskategorie, weitere seien bei privaten Firmen in Planung.

Ein weiterer Vorteil Luxemburgs sei die Überschneidung in den Kompetenzen mit denen, die es auf dem Finanzplatz bereits gibt. Damit sind einerseits das Speichern, die Kodifizierung und das Versenden sicherer Daten gemeint, auch das brauchen die Banken. Andererseits erledigen die dotcoms hier in Luxemburg vor allem ihre administrativ-organisatorischen Anglegenheiten, dazu seien auch die hier vorfindbaren Arbeitskräfte ohne weiteres in der Lage. Freaks and geeks wie im Sillicon-Valley braucht es nicht. Ähnlich wie im Finanzsektor stellt Luxemburg das back office, während die wahren Stars woanders auftreten. 

Es sei wenig störend, wenn die großen Namen jeweils nur eine geringe Zahl von neuen Arbeitsplätzen schaffen: Zieht einer wiederum, kommt es auch nicht zum Arbeitsplatzverlust im großen Stil, so die Argumentation im Umfeld der Regierung. Dass es um wenig Arbeitsplätze geht, scheinen nicht alle europäischen Medienverstanden zu haben. Die Financial Times nutzte auf jeden Fall dieGelegenheit, um zum Generalschlag gegen Luxemburg auszuholen. Am Mittwoch schrieb sie: „ ‚I can’t agree here today,’ Mr Juncker said in an act of defiance that has infuriated other member states, which are losing jobs and tax revenues because of the shift offshore of the booming ecommerce sector. (...) Luxembourg has become Europe’s richest country through a series of tax arrangementsthat havemade it a leading centre for financial services and the e-commerce industry.“

Dabei unterstrichen diplomatische Quellen, in der Sitzung seien keine harten Worte ausgetauscht worden. Ob die Autoren den Strand in Remerschen oder Bilsdorf meinen, wenn sie Luxemburg als offshore-Steuerparadies bezeichnen und suggerieren, das Großherzogtum operiere außerhalb des für alle EU-Staaten geltenden Gesetzesrahmen, bleibt ihr Geheimnis. Klar scheint jedoch, hier wird kräftig Standortwettbewerb durch Desinformation betrieben.

Als Trost kann der Regierung allerdings dienen: Auch ohne agence de promotion verstehen die Unternehmen ihre Botschaft. Richard Minor, Chef von AOL Luxemburg, meint, die anderen Länder hätten Juncker in eine Situation gebracht, in der ihm nichts anderes übrig blieb, als sein Veto einzulegen. Stand am Anfang der Initiative die Absicht der Kommission, die Regeln zu vereinfachen, glaubt er, dass die anderen Länder den Erfolg Luxemburgs im e-commerce-Sektor aus „irgendeinem Grund nicht mögen“. Die Kommission hatte in ihre Mitteilung an den Ministerrat vom Januar 2003 folgendes geschrieben: „(...) as a result of globalisation and advances in technology as well as the nature of these supplies (...) the addition of new appropriately defined exceptions [to existing rules] is difficult. It is often the case that the issue of the place of supply of services is one determined by the Courts. Ulimately, this model is proving difficult to apply for taxpayers and difficult to adminster for tax authorities.“

Da hat Minor also Recht, wenn er sagt, dass die EU-Mitgliedstaatennicht die Interessen der Unternehmen vor Augen haben. „Von meinen geschäftlichen Blickpunkt aus, ist es sehr frustrierend zu sehen, dass die anderen EU-Mitgliedstaaten versuchen Regeln zu verändern, denen sie mit offenen Augen erst 2003 zugestimmthaben .“ Er entkräftet den in der FT erhobenen Vorwurf mit dieser Anmerkung: „Die gute Nachricht ist, dass, als diese Regeln 2003 eingeführt wurden, viele US-Unternehmen, die vorher keine Präsenz in Europa hatten, sich freiwillig in Luxemburg und anderen EU-Ländern niedergelassen haben, um von dort aus Dienstleistungen in der Gemeinschaft anzubieten und dort entsprechend Mehrwertsteuer zahlen.“

Jobs in Europa hat Luxemburg demnach niemandem geklaut. „Warum hackt jeder auf Luxemburg herum?“, fragt er, denn die 300 bis 400 Millionen Euro, seien zwar für Luxemburg viel, sie stammten aber aus vielen verschiedenen Ländern, sie werdenalso niemandem en bloc genommen. Dass im Falle einer Änderung der Regeln, Ebay, Apple und Amazon sofort wieder die Koffer packen, glaubt er nicht. „Die kritische Masse an ecommerce-Unternehmen ist heute in Luxemburg vorhanden. Die habenin das Land investiert. Ich würde gerne denken, dass eine Änderungder Regeln sich nicht auf die Entscheidung der Unternehmen füroder gegen die Niederlassung in Luxemburg auswirkt. Die Regierung hat eine Reihe von wichtigen Initiativen ergriffen, um das Land als ecommerce-Standort geschäftlich attraktiv zu machen“, meint er. „Das Veto beweist auf jeden Fall das Engagement für den e-commerce-Sektor, und dies war sicher ein wichtiges Element, um die Bewegung in Gang zu bringen. Man sollte jetzt vielleicht auf die Initiativen und Elemente aufbauen, die nicht durch die EU-Politik umgeworfen werden können.“

So wird unter portugiesischer Ratspräsidentschaft weiterdiskutiert werden. Eu-Kommissar Laszlo Kovacs zeigte sich am Dienstag auf jeden  Fall zuversichtlich, dass man bis Ende des Jahres eine Lösung finden wird. Auf die Dauer der Übergangsfrist wird es demnach ankommen, denn auch wenn die Regierung nicht nur auf Steuervorteile baut, wird sie versuchen, so lange wiemöglich daran festzuhalten.  

Michèle Sinner
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