Staatenübergreifende Stromnetzgesellschaft

Achtung, Hochspannung!

d'Lëtzebuerger Land du 07.06.2007

Jeannot Krecké erweckte am Mittwoch den Eindruck, als habeer ein neues Projekt zur ökonomischen Diversifizierung am Haken:Die neue mittel-westeuropäische Strommarktplattform und die Gesellschaft, die aus ihr hervorgehen könnte, sollten doch am besten in Luxemburg ihren Sitz nehmen. Ihre Aktivitäten würden nicht nur gut zum Finanzplatz passsen, ist die Ansicht im Wirtschaftsministerium; da es sich um eine deutsch-französischbelgisch-holländisch-luxemburgische Unternehmung handelt, sei die hiesige Sprachenkompetenz gefordert.

Es sind jedoch noch weitaus gewichtigere Fragen als die des Sitzes, die sich stellen. Am Mittwoch wurde am Rande des EU-Energieministertreffens ein Memorandum of Understandingunterzeichnet, nach dem die Strommärkte Deutschlands, Frankreichsund der Benelux-Staaten enger miteinander verbunden werden sollen. Insbesondere Übertragungsengpässe sollen dadurch seltener werden: Für grenzüberschreitende Stromtransporte werden die Leitungskapazitäten versteigert; bislang geschieht das für jeden vom Transport berührten Akteur für sich. Künftig soll es nur noch eine einzige Auktion für die gesamte so genannte „Central Western European Region“ geben, und diesem Vorgang soll ein Rechenmodell unterliegen, das die tatsächlichen Stromflüsse erfasst.

Eine solche Markt-Regionalisierung ist durchaus im Sinne der EU-Kommission. Ist eine regionale Versorgung doch organisatorisch leichter zu meistern als es die über die Netze sämtlicher 27 Mitgliedstaaten ist. Und so arbeiten in diese Richtung seit mittlerweile über zwei Jahren schon sieben regionale Energie-Foren, die sich in der Versammlung der europäischen Regulierungsbehörden (Ergeg) gebildet haben. So gesehen, übernimmt sie eine Vorreiterrolle – die „Market Parties Platform of the Central Western European Region“, deren Bildung das Memorandum of Understanding vorsieht. 

Doch dass das Memorandum soweit gehen würde, von derGründung einer Gesellschaft zu sprechen, wenngleich das noch eine Option genannt wird, die studiert werden soll, hat so manche politische Beobachter in Brüssel überrascht, sogar Kommissionskreise. Und hier liegt möglicherweise ein Problem.Denn vorangetrieben wurde die Gründung der Marktteilnehmer-Plattform in den letzten Monaten von der französischen und der deutschen Energiewirtschaft. Unter anderem mit dem Hinweis auf die Plattform-Bildung mit Frankreich und den Benelux-Ländern hatte Anfang Januar der Verband der Deutschen Elektrizitätswirtschaft (VDEW) die Vorschläge der EU-Kommission zur eigentumsrechtlichen Entflechtung von Stromerzeugung und Stromhandel vom Netzbetrieb abgelehnt. Noch ist zwar nicht abzusehen, welchen Einfluss die Netzgesellschaft nehmen könnte. Tätig werden wird sie jedoch auf dem Übertragungsmarkt, nicht im Stromhandel, und ein großes Fragezeichen jeglicher Regionalisierung der Stromversorgung ist, ob die Marktmacht großer Player wie RWE oder E.on durch die Beteiligung ihrer jeweiligen Netz-Töchter an multilateralen Netzverbünden nicht noch größer werden könnte.

Die politische Herausforderung wird sich daher nicht in der Sitzfragevon Plattform und Netzgesellschaft erschöpfen, sondern viel mehr damit zu tun haben, wer in der Gesellschaft vertreten sein wird, mit welchem Kapitalanteil und mit welchen Stimmrechten. Angesichts der offenbar ziemlich dynamischen Entwicklung hin zu einem grenzübergreifenden Netzverbund stellt sich die Frage, ob die von Jeannot Krecké angestrebte nationale Luxemburger Netzgesellschaft aus öffentlichen und privaten Strom- und Gasnetzbetreibern eine Rolle in der regionalen Gesellschaft spielen soll. Und ob in diesem Fall der Anteil der öffentlichen Hand groß genug sein wird, damit nicht plötzlich ein ausländischer Energiekonzern strategische Luxemburger Interessen vertritt.

 

Peter Feist
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