Künstliche Befruchtung

Verlegenheitslösung

d'Lëtzebuerger Land du 22.02.2007

Als Mitte Mai letzten Jahres der Service de procréation médicalement assistée (Service PMA) am Centre hospitalier de Luxemburg sein einjähriges Bestehen feierte, versprach Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP), der künstlichen Zeugung zur gesetzlichen Basis zu verhelfen, die sie kurioserweise nach wie vor nicht hat. Bisher liegt noch kein Gesetzentwurf dazu vor. Am 8. Februar aber äußerte sich der parlamentarische Gesundheitsausschuss zu einem Gesetzentwurf des Gesundheitsministers, der Regelungen zur künstlichen Zeugung einführen soll – unter anderem.

Die Entschließungen wurden dem Staatsrat zugesandt, der allerdings am 4. April letzten Jahres „vivement“ davon abgeraten hatte, auf diesem Weg in irgendeiner Weise die künstliche Zeugung zu regeln. Vielmehr solle so schnell wie möglich ein separater Gesetzentwurf ausgearbeitet werden. Der Meinung sei er auch, antwortete Mars Di Bartolomeo dem Staatsrat einen Monat später, am 2. Mai, in einer Stellungnahme. Doch „l’ensemble des questions sociétales et éthiques que soulèvent ces techniques“, riskiere „de diviser la société et les décideurs“ und ihre Klärung werde „realistischerweise“ mindestens zwei Jahre dauern. Denn mit Fragen wie insbesondere der, ob auch alleinstehende Frauen und lesbische Paare Zugang zur künstlichen Zeugung haben sollten, müssten sich Justiz- und Familienministerium befassen.

Womit der Gesundheitsminister zwei Wochen später auf der Geburtstagsfeier des Service PMA wahrscheinlich etwas in Aussicht stellte, von dem er selbst nicht glaubte, dass es noch in der laufenden Legislatur zu haben sei. Doch es geht um weit mehr als allein die künstliche Zeugung und den Zugang zu ihr und die legale Basis all dessen bei diesem Durcheinander, in dem eine Regierung gegenüber dem Staatsrat einräumt, dass der Koalitionsfrieden in Gefahr geraten könnte, falls man sich der Thematik allzu intensiv widmet: Auf dem Weg durch die Instanzen sind derzeit gleich drei Gesetzentwürfe von einiger ethischer Tragweite.

Der erste, mit der laufenden Nummer 5528, soll die Biomedizin-Konvention von Oviedo und ihre Zusatzprotokolle ratifizieren. Die 1997 abgeschlossene Konvention des Europarats und ihre zwischen 1998 und 2005 entstandenen Zusatzprotokolle sollen im biomedizinischen Bereich Mindeststandards zur Wahrung der Menschenwürde garantieren. Das zweite Gesetzesvorhaben – Nr. 5448 – soll die EU-Direktive 2004/23 EG in nationales Recht übernehmen. Die Direktive enthält Qualitäts- und Sicherheitsnormen für Spende, Entnahme,
Konservierung, Lagerung und Verteilung menschlicher Zellen und Gewebe. Der dritte Gesetzentwurfschließlich – Nr. 5552 – soll auf rein nationaler Ebene einen Rahmen für die biomedizinische Forschung setzen.

Es sind die großen ethisch bedeutsamen Themen der zeitgenössischen Molekularbiologie – Embryonenschutz sowie der Umgang mit und die Forschung an embryonalen Stammzellen –, die zur Kontroverse führen zwischen der Regierung und dem Staatsrat, der alle drei Gesetzesvorhaben sehr kritisch begutachtet und Ende letzten Jahres den Entwurf über die biomedizinische Forschung rundweg abgelehnt hat.

Diese Reaktionen sind nur folgerichtig. Denn die drei Gesetzentwürfe, die gerade im Hinblick auf die umstrittene Embryonen- und Stammzellforschung eng miteinander zusammenhängen, sind gerade dort in sich widersprüchlich. Weder machen sie die Luxemburger Gesetzgebung zu einer der „les plus réstrictives dans l’Union européenne“, wie im Motivenbericht zum Gesetzentwurf über die Oviedo-Konvention behauptet wird, noch sorgen sie ausreichend für Rechtssicherheit in der heimischen Forschung, noch in der Wirtschaft, die sich, wie Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) auf dem Economy Day am Dienstag vergangener Woche bekannt gab, ausgerechnet im Bereich zelltherapeutischer Anwendungen diversifizieren soll.

„Sont interdites toute recherche sur les embryons humains in vitro ainsi que toute constitution d’embryons humains aux fins de recherche“, heißt es in Artikel 6, Absatz 1 des Entwurfs zum Oviedo-Gesetz, und fast gleich lautend: „Sont interdites la constitution d’embryons humains aux fins de recherche ainsi que la recherche sur les embryons in vitro“ in Artikel 16 des Gesetzentwurfs über die biomedizinische Forschung. Das klingt nach einem klaren Verbot, muss aber keines sein. Die nationale Ethikkommission wies zwischen 2002 und 2005 in all ihren Gutachten zur Bioethik darauf hin, dass hierzulande der Status eines Embryos völlig unklar, weil nirgends definiert ist. Wissenschaftlich gesehen, könne man vom Embryo entweder schon kurz nach der Befruchtung einer weiblichen Eizelle sprechen, oder aber erst dann, wenn sich erste – noch immer primitive – Nervenzellkomplexe herausgebildet haben; ab 14 Tage nach der Befruchtung. Aber wie auch immer: „l’embryon n’est pas assimilée à une personne protégée par la loi“1.

Vor dieses Problem geriet auch der Staatsrat bei seiner Analyse des Gesetzentwurfs zur biomedizinischen Forschung: Das Gesetz soll gelten für „tout essai, étude ou xpérimantation sur l’être humain en vue du développement de connaissances“, hält Artikel 1 des Entwurfs fest, aber nicht für „la recherche fait in vitro sur du matériel biologique prélevé sur l’homme, du moment que le prélevement de ce matériel a été opéré à des fins d’autres que la recherche“.

Welche Regeln sollten dann aber für den Umgang mit überzähligen Embryonen gelten, die aus der In-vitro-Befruchtung im Rahmen einer künstlichen Zeugung entstehen? Sie sind immerhin nicht zu Forschungszwecken entstanden; sie als „matériel biologique“ anzusehen, sei zumindest diskutabel, und inwiefern sie als „être humain“ gelten sollen, nirgends erklärt.

Aber mit diesen Unstimmigkeiten nicht genug, wird auch die „Stammzellfrage“ keineswegs so beantwortet, wie es die Erläuterungen zum Verbotsartikel einer Embryonenforschung im Biomedizin-Gesetz glauben machen: Luxemburg optiere für eine biomedizinische Forschung an adulten statt embryonalen Stammzellen, heißt es da. Allerdings sind Stammzellen nicht gleich Embryonen, sondern daraus abgeleitet, und ganz zu Recht kann der Staatsrat nur annehmen „que l’interdiction totale comprend implicitement la recherche sur les tissus et cellules souches embryonnaires“.

Und diese Unklarheit wird überhaupt nicht kleiner durch den Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Direktive über Qualitäts- und Sicherheitsnormen für Spende, Entnahme, Konservierung, Lagerung und Verteilung menschlicher Zellen und Gewebe: In Artikel 5 dieses Textes werden Import und Export von Zellen und Geweben geregelt – ein politisch überaus heißes Eisen, wenn es um embryonale Stammzellen geht. Denn im bei der Forschung an embryonalen Stammzellen strengen Deutschland etwa wurde eine Hintertür im 2003 verabschiedeten Stammzellgesetz offen gelassen, die den Import bestimmter Zelllinien gestattet. In Luxemburg scheint ein ähnlicher Weg nicht ausgeschlossen – trotz aller Bekenntnisse zum Totalverbot der Embryonenforschung: Import und Export von Zellen und Geweben jeder Art sind möglich, eine Genehmigung des Gesundheitsministers vorausgesetzt.

Im Lichte all dessen sind die drei Gesetzentwürfe vor allem Verlegenheitslösungen einer Regierungskoalition, die die öffentliche Bioethik-Debatte generell scheut. Er selber sei ja für die Forschung an Embryonen, unter Auflagen wohlgemerkt, ließ Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo den Staatsrat in einem weiteren Schreiben wissen, dass er auf die harsche Kritik am Oviedo-Gesetzentwurf und das darin enthaltene Totalverbot hin verfasste. Schon 2002 habe der damalige Gesundheitsminister Carlo Wagner (DP) ein Gesetzesprojekt erarbeiten lassen, dass die kontrollierte Embryonenforschung zulassen sollte. Die CSV aber sei dagegen gewesen und sei es heute wohl heute noch, lässt Di Bartolomeo durchblicken. Zumal vor zwei Jahren gemeinsam mit dem Centre de recherche public de la Santé festgestellt worden sei, dass für Forschung an embryonalen Stammzellen derzeit kein Bedarf bestehe.

Letzteres ist ein gewichtiges Argument. Dem deutschen Bundestag wurde kürzlich eine Studie zum Stand der Forschung zu und Potenzialen von embryonalen und adulten Stammzellen2 vorgelegt. Sie soll klären helfen, inwiefern die strenge deutsche Stammzellgesetzgebung sich halten lässt angesichts der Tatsache, dass sich Mitte 2006 die EU-Forschungsminister nach langem Gezerre darauf einigten, dass mit dem 7. EU-Forschungsrahmenprogramm bestimmte Arbeiten an embryonalen Stammzellen förderfähig würden. Die Studie für den Bundestag ist sehr eindeutig: Nur adulte Stammzellen und zum Teil auch solche, die aus Nabelschnurblut gewonnen wurden, werden seit längerem schon in der medizinischen Therapie angewandt beziehungsweise in klinischen Studien erprobt. Dagegen fand laut der internationalen Metadatenbank für klinische Studien bis zum 15. Januar 2007 weltweit kein einziger klinischer Test mit embryonalen Stammzellen statt, nur Grundlagenforschung zur Gewinnung von Zelllinien, die sich für solche Tests eignen könnten.

Pragmatisch gesehen, lässt sich daraus folgern, dass die Beschäftigung mit adulten Stammzellen zurzeit wohl eher Anwendungsmöglichkeiten für biomedzinische Forschungsarbeiten bietet, und geschähe dies im großen Maßstab, würde ein Druck aufrecht erhalten, der zur weiteren Suche nach Alternativen zu den ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen zwingt. Ein Totalverbot für Luxemburg wäre freilich eine Einschränkung der Grundlagenforschung, selbst wenn sie hierzulande noch nicht an embryonalen Stammzellen stattfindet. Die komplizierte Frage, inwiefern es heimischen Forscher untersagt sein müsste, in internationalen Projekten mitzuwirken, bei denen es um embryonaleStammzellen geht, könnte sich ebenfalls stellen.

Aber vielleicht sind die Einschränkungen ja gar nicht wirklich gewollt. Nicht nur, weil der Gesundheitsminister nicht gegen Embryonenforschung ist: Diese Frage werde, schreibt die Regierung erläuternd zum Verbotsartikel im Biomedizin-Gesetz, „fort discutée au niveau communautaire, et plus précisement au niveau des ministres de la Recherche, dans le context du financement par de fonds communautaires de la recherche sur les cellules souches embryonnaires humaines“. Und in Abwesenheit einer EU-Position plädiere die Regierung für die Alternative der adulten Stammzellen.

Mittlerweile freilich ist diese EU-Position zugunsten der Förderung embryonaler Stammzellforschung geklärt, und Forschungsminister und CSV-Präsident François Biltgen trug sie mit, „weil man nicht die ganzen Forschungsaktivitäten in der EU blockieren wollte“.3 Aber wenn im Gesetzentwurf über die Biomedizin die Frage: „Embryonenforschung ja oder nein?“ derart von EU-Positionen abhängig gemacht wird, hat man es wohl eher mit der üblichen Bigotterie der CSV in bioethischen Fragen zu tun: So wie man in den Neunzigerjahren schon die ersten Schritte zur künstlichen Zeugung hinnahm, widersetzte man sich ihrer gesetzlichen Regelung und akzeptierte, dass die Tätigkeit des Service PMA am CHL lediglich auf einem ministeriellen Erlass von 2003 beruht. Nie gab es eine Regierungs-Stellungnahme zu dem Gesetzesvorschlag über die künstliche Zeugung, den 1999 der damalige LSAP-Abgeordnete Marc Zanussi vorgelegt hatte. Dass nun im Rahmen der drei Gesetzentwürfe Aussagen zur künstlichenZeugung gemacht werden, liegt nur daran, dass die EU-Direktive über die Zellen und Gewebe auch ausdrücklich für Samen- und Eizellen sowie Embryonen gilt und man wenigstens qualitätssichernde nationale Regeln für den Service PMA einführen musste. Dabei hatte die nationale Ethikkommission schon im Herbst 2005 genauso wie der Staatsrat im April letzten Jahres darauf gedrängt, eine separate Gesetzgebung müsse her.

Drei Jahre zuvor hatte die Ethikkommission mehrheitlich für die kontrollierte Forschung an embryonalen Stammzellen und auch für eine Gewinnung von Embryonen allein zu Forschungszwecken plädiert. Dass die Regierung erklärtermaßen einen anderen Weg gehen will, ist an sich nicht schlimm, zeigt aber, dass eine erneute Ethikdebatte des Themas nötig sein könnte. Vermutlich aber schreckt vor allem die CSV davor zurück: Eine solche Diskussion aus aktuellem Anlass würde die Propagandamaschine des Erzbistums auf den Plan rufen und für eine Mediatisierung sorgen, deren Ausgang für die Christlichsozialen nicht vorhersehbar wäre.

1 Avis 2002.3 La recherche sur les embryons (I). Les cellules souches et le clonage thérapeutique, S.38, Nationale Ethikkommission
2 Der Stand der Forschung zu und Potenziale von embryonalen und adulten Stammzellen, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD 8-235/06
3 d’Wort, 25.07.2006
Peter Feist
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