Die Handelskammer findet Jeremy Rifkins digitalen Sozialismus für Kleinbürger nicht mehr lustig

Die Grenzen des Flohmarkts

d'Lëtzebuerger Land du 21.04.2017

Mitte November vergangenen Jahres hatten Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP), die Handelskammer und der Unternehmerverein für Nachhaltigkeit IMS den Bericht The third Industrial Revolution vorgestellt, den sie bei dem US-amerikanischen Zukunftsforscher ­Jeremy Rifkin gekauft hatten (d’Land, 18.11.2016). Zum Preis von einer halben Million Dollar erzählt der Bericht in atemlos euphorischem Ton, wie die Umwälzung der Arbeits- und Lebensverhältnisse durch einen neuen Schub von Automatisierung, Robotisierung und Vernetzung in eine wunderbare ökologische Utopie mündet, wie „Luxemburg in den ersten Nationalstaat der schlauen grünen dritten Industriellen Revolution“ verwandelt werden soll (S. 6), wo sich Windräder friedlich in der Sonne drehen und fahrerlose Elektroautos an saftigen Weiden vorbeischnurren. So sollen in Zeiten antiliberaler Wählerrevolten Ängste zerstreut werden, dass unter dem Vorwand technischer Zwänge das alte Heer von Tagelöhnern, Heimarbeitern und Hausierern wieder aufersteht und der Sozial­staat abgewickelt wird.

Allerdings waren Jeremy Rifkins Unternehmensberater schlecht gerüstet, um soziale Fragen anzugehen, und interessierten sich offensichtlich auch nicht dafür. Deshalb spielten sie jedes Mal ihre Joker-Karte „Sharing Economy“ aus, wenn sie ihr Unvermögen oder ihren Unwillen vertuschen mussten, auf die sozialen und politischen Aspekte der dritten Industriellen Revolution einzugehen. Das Zauberwort taucht 51 Mal in der Kurzfassung und 120 Mal in der Langfassung des Berichts auf.

Die Idee stammt aus Jeremy Rifkins neustem Buch, The Zero Marginal Cost Society: The internet of things, the collaborative commons, and the eclipse of capitalism (2014), in dem er als neusten Trend die Vernetzung von Alltagsgeräten und die 3D-Drucker entdeckt: „The real revolution comes when the 3D Makers Movement connects all the ‚things’ in a 3D Makers economy to an Energy Internet.“ Damit naht in seine Augen „the exclipse of capitalism“. An die Stelle des Kapitalismus soll in einer friedlichen Revolution ein digitaler Sozialismus der Kleinbürger treten, die sich romantisch nach vorindustriellem Handwerk und Tauschwirtschaft zurücksehnen: „The old paradigm of owners and workers, and of sellers an consumers, is beginning to break down. Consumers are becoming their own producers [...] prosumers will increasingly be able to produce, consume, and share their own goods and services with one another on the Collaborative Commons at diminishing marginal costs approaching zero“.

In der von der Regierung zur „allgemeinen Richtlinie für die qualitative Entwicklung des Landes“ erklärten Kurzfassung des Berichts heißt es, dass die Unternehmen zwar schon immer versucht hätten, die Produktivität zu steigern. Doch „they never anticipated, however, a digital technology revolution that might unleash ‚extreme productivity’ bringing marginal costs to near zero, making information, energy, and many physical goods and services nearly free, abundant, and no longer subject to market exchanges. That’s now beginning to happen“ (S. 122), denn, „a hybrid economy has already emerged, partly made up of a capitalist market and partly a sharing economy on the collaborative commons“ (S. 128).

Die von Jeremy Rifkin prophezeite und von der Regierung abgesegnete Revolution verheißt all jenen Angestellten und kleinen Selbstständigen Trost, die kein Kapital haben und fürchten, in Luciano Gallinos globalisierte Arbeiterklasse, in Guy Standings Prekariat oder gar in die Arbeitslosigkeit abzurutschen: „In the digitalized Sharing Economy, social capital is as vital as market capital, access is as important as ownership, sustai­nability supersedes consumerism, collaboration is as crucial as competition, virtual integration of value chains gives way to lateral economies of scale, intellectual property makes room for open sourcing and creative commons licensing, GDP becomes less relevant, and social indicators become more valuable in measuring the quality of life of society, and an economy based on scarcity and profit vies with a Zero Marginal Cost Society where an increasing array of goods and services are produced and shared for free in an economy of abundance“ (S. 123).

Aber die digitale Meistersinger-Idylle von produzierenden Verbrauchern („Prosumer“) hat auch ihre Gegner. Insbesondere die Handelskammer, die einen Teil des Berichts bezahlte, bekommt es mit der Angst zu tun, dass die falschen Leute die Rifkin-Schwärmerei für bare Münze nehmen. Denn sie kann sich nur wenig mit der Vorstellung anfreunden, dass „the marginal cost of some goods and services in a Smart Europe will even approach zero, allowing millions of prosumers, connected to the Internet of Things, to produce and exchange things with one another, for nearly free, in the growing Sharing Economy“ (S. 9). Die Interessenvertreterin der Unternehmen findet es nicht lustig, dass ihr Kapital entwertet werden könnte, statt durch Produktivitätsgewinne vergrößert zu werden, und die Aneignung von Mehrwert dadurch abgeschafft wird, dass alles kostenlos wird. Deshalb hatte der Direktor der Handelskammer, Carlo Thelen, schon bei der Vorstellung des Berichts Vorbehalte angemeldet, bei dem Ganzen handele es sich lediglich um eine „tool box“, der jeder bloß das eine oder andere Werkzeug entnehmen kann, das er braucht.

Weil sie der Revolution zu „the exclipse of capitalism“ keinesfalls friedlich zusehen möchte, widmete Idea, die Denkfabrik der Handelskammer, vergangene Woche ihren Avis annuel 2017. Monde du partage ou partage du monde ? der Sharing Economy und verweist deren Bedeutung spöttisch in den Bereich der Epsilontik (S. 41). Außer dem aufgebauschten Börsenwert von Tauschplattformen gebe es nämlich kaum verlässliche Angaben über die tatsächliche Bedeutung der Sharing Economy. „Dans les faits, le partage via des plateformes, largement préconisé dans le rapport [Rifkin], reste assez confidentiel. Con­crètement, les autorités gagneraient à s’interroger sur les modèles souhaitables pour le Luxembourg afin d’en maintenir l’attractivité et d’aligner les discours, les faits et le cadre, plutôt que de laisser s’installer le doute“ (S. 50). Vergleiche man „la réalité des usages parfois loin des discours messia­niques“ (S. 55), stelle man beispielsweise fest, dass die Internetseite Minijobs.lu 1 140 Babysitting- und andere Dienstleistungen angeboten, aber nur 100 Nachfragen verbucht habe, oder dass Taxi-Alptraum Uber weltweit 6 700 Fahrer beschäftige, Luxemburger Taxfirmen aber 691.

In Luxemburg spiele die Sharing Economy laut Idea bisher eine unbedeutende Rolle, weil sie vor allem ein großstädtisches Phänomen sei und Luxemburg weniger unter der Krise und der Arbeitslosigkeit zu leiden habe. Die Sharing Economy sei aber weniger Jeremy Rifkins Verheißung einer schönen neuen Welt als „des pratiques ‚de partage’ ... ou de ‚débrouille’“. Denn „en contraignant les individus à chercher de nouvellers ressources, la crise économique a pu alimenter l’offre (revenu principal ou d’appoint) comme la demande (recherche d’alternatives à moindre coût favorables au pouvoir d’achat) de biens et de services collaboratifs“ (S. 47). Weil viele Leute hierzulande mehr verdienen als in anderen Ländern, bräuchten sie eben weniger zu teilen.

Was schließlich dazu führt, dass sie sonst unentwegt über die staatliche Reglementierung klagende Handelskammer ein ganzes Arsenal von europäi­schen, nationalen und kommunalen Regeln für die Sharing Economy fordert, um zu verhindern, dass diese zu einem riesigen, von Ebay, Uber und Airbnb organisierten Schwarzmarkt auf Kosten mittelständischer Mitglieder der Handelskammer auswächst. Weil Luxemburg bisher von dem Tumult um solche Firmen verschont geblieben sei, solle es seine sozialpartnerschaftliche Tradition nutzen, um die Sharing Economy mit einer „shared regulation“ (S. 52) einzudämmen und Rifkins „Prosumer“ zu warnen, dass Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung strafbar bleiben, auch wenn sie über Internet vermittelt werden. Dabei geht es laut Idea derzeit um die Konkurrenz zwischen privaten Dienstleistungen im Haushalt und Handwerksbetrieben, um private Zimmervermietung in Konkurrenz zum Hotelgewerbe, um private Mitfahrgelegenheiten in Konkurrenz zum Taxigewerbe und um Crowd Funding in Konkurrenz zur Bankfiliale an der Ecke.

„The Internet of Things platform is emerging, allowing millions – and soon hundreds of mil­lions – of prosumers to make and share their own energy, share vehicles, share homes, and share an increasing array of 3D printed products at low to near zero marginal cost“, schwärmt der Rifkin-Bericht. (S. 123). Die Handelskammer sähe es dagegen am liebsten, wenn Flohmarktgeschäfte von Privatleuten bis zu einem Einkommen von 500 Euro steuerfrei blieben (S. 52) und „la croissance future des modèles de partage pourrait, en réalité, être assurée par les professionnels, relativisant l’idée d’une fin annoncée ‚de l’entreprise’“ (S. 45).

Romain Hilgert
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