Logistik-Champion Belgien

Kraftakt

d'Lëtzebuerger Land du 25.01.2007

Belgien zählt mit fünf Häfen und rund 500 Europäischen Distribu- tionszentren zu den Logistikchampions Europas. 400 dieser Distributionszentren befinden sich allein in Flandern. Ihren Standortvorteil will die Region in Zukunft mit Hilfe eines Netzwerks von „Logistik Hot Spots“ ausbauen. Das Konzept setzt auf Spezialisierung und optimale Kooperation von Logistik- und Transportbetrieben. Es soll dem drohenden Verkehrsinfarkt in Belgien zuvorkommen und insbesondere die Hinterlandanbindung des Hafens von Antwerpen sicherstellen.

Dabei kann auch auf eine Kooperation mit Logistikzentren in Wallonien nicht verzichtet werden. Mit den Häfen Antwerpen, Zeebrugge, Ostende, Gent, Lüttich und dem internationalen Flughafen Zaventem verfügt Belgien über sechs „Gateways“, multimodale Umschlagplätze des explodierenden Welthandels. Allein in Antwerpen erreichte der Containerumschlag im vergangenen Jahr die Rekordmarke von sieben Millionen TEU (TEU ist ein Container-Standardmaß). Bis 2012 könnte sich dieses Volumen verdoppeln.

„Der Motor unserer Logistikwirtschaft ist ein leistungsstarkes multimodales Hinterlandnetzwerk, das unsere internationalen Gateways mit Verteilplattformen verbindet.“ Mit diesen Worten stellte Kris Peeters, Infrastrukturminister der Region Flandern, sein Konzept Flanders Logistics vor. Mit wissenschaftlicher Unterstützung des Flanders Institute of Logistics (VIL) will er ein Netzwerk von Logistikschwerpunkten (Hot Spots) identifizieren, so genannte „Extended Gateways“. Sie würden die Warenströme aus den internationalen Gateways kosten- und zeitsparender übernehmen. Es sei entscheidend, so Peters, über den Transport hinaus hohen Mehrwert aus der logistischen Pole-Position Flanderns zu schlagen. Nachhaltiger Verkehr, dauerhafte Wertschöpfung und Arbeitsplatzsicherung seien davon abhängig, ob es Flandern gelingen werde, nicht nur wachsende Transportströme von den Häfen ins In- und Ausland zu bewältigen, sondern möglichst komplexe logistische Aufgaben im Land selbst auszuführen und hohen Mehrwert durch die Konditionierung von Produkten für den europäischen Markt zu schaffen. „Nur so kann sich Flandern auf Dauer als unabdingbarer Teil der europäischen Lieferkette positionieren.“

Wie wichtig der Dienstleistungssektor Transport und Logistik für die belgische Wirtschaft ist, belegen Zahlen der Nationalbank. Das Land verdankt der Logistikbranche 9,6 Prozent seines Bruttonationalprodukts und rund 6,5 Prozent aller Jobs. Im Ranking des European Distribution Report 2006 von Cushman & Wakefield, Healey & Baker nimmt Belgien dank niedriger Mietpreise und guter Zugangslage zum zweiten Mal in Folge den Logistik-Spitzenrang für Investoren ein, vor Frankreich und den Niederlanden. Heute schon weist Flandern eine höhere Konzentration an europäischen Distribution Centers (mit 25 000 Arbeitsplätzen) auf als die Niederlande.

Immer länger werdende LKW-Schlangen drohen den Erfolg jedoch zum Alptraum werden zu lassen. Nach wie vor werden 41 Prozent der Güter von und nach Antwerpen im LKW befördert, 54 Prozent sind es nach Gent, 77 Prozent nach Zeebrugge und gar 96 Prozent nach Ostende. Auf die Schiene entfallen nur zwischen vier und 21 Prozent. „Belgien investiert nur ein Prozent seines Bruttonationalprodukts in die Straßeninfrastruktur, die Niederlande hingegen viermal so viel“, kritisierte der Geschäftsführer des Unternehmerverbands FEB, Rudi Thomaes, die Sparpolitik der öffentlichen Hand angesichts der Perma-Staus rund um Antwerpen und im Nordosten Brüssels. Im Oktober 2006 hat die flämische Region zwar die privat-öffentliche Gesellschaft Via Invest eingerichtet, um für die schnelle Beseitigung der schlimmsten Engpässe im Straßennetz (unter anderem um Zeebrugge, Antwerpen und auf der R4) außerhalb enger Budgetgrenzen zu sorgen. Für viele leidtragende Unternehmen ist dies allerdings ein Tropfen auf den heißen Stein ...

Auf lange Sicht könne die Lösung nur durch eine Verlagerung großer Warenströme auf Wasserstraßen und Schiene kommen, meint der Vize-Gouverneur der belgischen Nationalbank, Luc Coene. Nicht nur die Vertiefung der Schelde und der Hafenausbau seien ausschlaggebend, um gegenüber Rotterdam und Hamburg im Containerverkehr konkurrenzfähig zu bleiben. Dringend notwendig sei die bessere Erschließung des Hinterlandes durch ein tragfähiges Schienennetz in und um den Hafen Antwerpen beziehungsweise um Brüssel, der  nicht nur ner Direktverbindung von Antwerpen ins Ruhrgebiet („Eiserner Rhein“) sowie der Ausbau der seit einem Vierteljahrhundert mehr oder weniger vernachlässigten Wasserstraßen Belgiens.

Verbesserungen der Infrastrukturen trotz knapper staatlicher Mittel sind jedoch nur ein Teil der Erfolgsstory, die Kris Peeters mithilfe kreativer Unterstützung des Flanders Institute of Logistics schreiben will. Intelligentere Nutzung vorhandenen Potenzials lautet der andere. Das vom Leiter des Instituts, Professor Alex Van Breedam, entworfene Konzept Extended Gateways baut auf der Vision eines „intelligenten“ Netzwerks von 15 bis 16 Logistik Hot Spots in direkter Verbindung mit den oben genannten internationalen Gateways auf.

„Wir müssen uns auf die ‚zweite Produktion’ konzentrieren“, erläutert Alex Van Breedam, „sprich auf die Fertig- und Bereitstellung von Produkten für den europäischen Markt in kürzesten Zeitspannen und zum niedrigst möglichen Gesamtpreis. Unternehmer konzentrieren sich heute viel zu sehr auf die reinen Transportkosten – was tatsächlich zählt, sind die Gesamtkosten der Logistikkette.“

Mit dem Projekt Extended Gateways will das VIL brach liegendes Potential zur Effizienzsteigerung und Kostenminimierung freilegen und ein Netzwerk an Logistik-Clusters schaffen. Zur Erfassung und zum Vergleich der Charakteristika verschiedener multimodaler Hot Spots in Flandern geht das VIL-Team nach einem strengen Kriterienkatalog vor: Welche Betriebe und Logistikunternehmen sind bereits angesiedelt? Welche Zugangsmöglichkeiten bestehen? Mit welchen Warenströmen ist zu rechnen, und wie kann man sie bündeln, um alternative, günstigere Transportmodi zu nutzen? Welches Angebot an Kompetenz und Arbeitskräften liegt vor? Welche Immobilienpreise? – Ziel der Studien ist die Identifizierung der jeweils idealen Standorte für spezifische Aktivitäten und deren räumliche Konzentration. „Es geht nicht darum, neue Infrastrukturen zu schaffen, sondern das vorhandene Potential durch bessere Zusammenarbeit und gezielte Beratung der Betriebe auszuschöpfen.“

Das Konzept könnte noch in diesem Jahr auf ganz Belgien ausgeweitet werden. Erste Kontakte zwischen Flandern und Wallonien sind geknüpft. Wie die konkrete Zusammenarbeit zwischen den beiden Landesanteilen aussehen kann, haben die Häfen von Antwerpen und Lüttich vorgemacht. In diesen Monaten soll in der Maas-Stadt mit dem Bau der multimodalen Plattform Trilogiport begonnen werden, die 2009 ihre Arbeit aufnehmen soll. Einer der Partner des Projekts ist der Hafen von Antwerpen, der über den Binnenhafen von Lüttich die Hinterlandverbindung und die künftige An- und Ablieferung von Containern per Binnenschiff verbessern möchte. So soll das 100 Hektar große Gelände am Albertkanal unter anderem per Binnenschiff über einen regelmäßigen Shuttle-Containerdienst an die Häfen von Antwerpen (15 Stunden) und Rotterdam (24 Stunden) angebunden werden.

Ziel ist es, im Trilogiport 2 000 Jobs zu schaffen. Insgesamt könnten sich bis zu zehn bis zwölf Europäische Distributionszentren (EDC) auf dem neuen Gelände ansiedeln. Das Containeraufkommen in der Region wird auf jährlich 150 000 TEU geschätzt. Innerhalb der kommenden fünf Jahre hofft der Hafen Lüttich, alleine im Trilogiport rund 90 000 TEU umzuschlagen.

Die wallonische Region wird das Vorhaben mit rund 16 Millionen Euro im Rahmen des Marshallplans zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung im französischsprachigen Landesteil Belgiens unterstützen. Transport und Logistik ist einer von fünf Schwerpunkten des Aktionsplans. Im Rahmen des Marshallplans wird auch der Ausbau des Logistikparks Garocentre in La Louvière (Autobahnen E42 und E19) unterstützt. Anfang 2007 stehen Unternehmen hier weitere 40 Hektar für Niederlassungen zur Verfügung. Derzeit wird das Kai am Canal du Centre (Verbindung nach Brüssel und Antwerpen) von 200 Meter auf 600 Meter verlängert. Zudem ist ein  Bahn-Shuttle-Dienst zum Antwerpener Hafen in Planung.

Die Kooperation des Gateway Antwerpen mit dem Extended Gateway in der Wallonie und insbesondere mit dem Lütticher Hafen sei ein nachahmenswertes Beispiel, von dem man auch in Flandern noch einiges lernen könne, gesteht sogar Alex Van Breedam vom Flanders Institute of Logistics ein.

Christian Dahm, Michaela Findeis
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